Vierter Brief

    Briefmarke

 Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Und

 Lieder über den Krieg

Damit,

     Liebe Frauen,

sind wir beim nächsten Thema: dem Krieg. Die Untertitel meiner Bücher von der Frau ohne Welt klingen nicht gerade wie Schlagertexte: ‚Krieg gegen den Mann’, ‚Krieg gegen das Kind’, ‚Krieg gegen die Zukunft’ – das wirkt kriegerisch.

Also doch. Also muss ich auch ein Krieger sein. Ein gewaltbereiter Kämpfer. Das dachte sich wohl eine Journalistin vom SWR, die ihre Meinung schon im Kasten hatte, als sie mich interviewte. Ich war freundlich zu ihr – was mir leicht fiel. Ich war geduldig. Ich habe ihr in aller Ruhe erklärt, worum es mir geht.  

Sie hat daraus eine Sendung gemacht, in der es heißt, dass ich auch einer dieser gefährlichen »Kämpfer für Männerrechte« bin, die sich im Schatten von Anders Breivik herumtreiben. Das hätte sie vermutlich auch gesagt, wenn ich noch eine weitere Stunde auf sie eingeredet hätte. Ich hätte es ahnen können. Die Öffentlichkeit ist kein Freund, an den man sich vertrauensvoll wenden kann. Wir leben wieder in einer Zeit, in der Kriegspropaganda der normale Umgangston ist.

Wann ein Krieg begonnen hat, wissen wir im Allgemeinen. Doch »wann beginnt der Vorkrieg«? Das fragte sich Christa Wolf in ihrer Erzählung Kassandra. Kriege brechen schließlich nicht aus heiterem Himmel aus. Das ist gut zu wissen: Menschen fallen nicht plötzlich einfach so übereinander her. Erst muss der Gegner sturmreif sein. Seine erhoffte Niederlage muss durch Kriegspropaganda gut vorbereitet werden. Damit man nachher sagen kann, er – der böse Gegner – würde es sowieso nicht besser verdient haben. Der Volksmund sagt: »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«. Erst wird dem Gegner Schaden zugefügt, dann wird ihm auch noch die Schuld gegeben. Heinz Erhardt sagt: »Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung«.

Ehe der erste Schuss in Jugoslawien fiel, ging ihm eine jahrelange Verschlechterung des Klimas voraus. Und? Wie sieht es bei uns aus? Alles friedlich? Ist die Presse vertrauenswürdig? Sind die Darstellungen sachlich? Nein, nein, nein. Es gibt längst keine Hemmungen mehr, den angeblich privilegierten weißen, alten Mann zum Abschuss freizugeben, ihn zu strafen und zu schädigen und ihm für alle Übel der Welt die Schuld in die Schuhe zu schieben.

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Ich mache kein Geheimnis aus dem, was ich will. Aber – gut, wenn es sein muss –, dann sage ich es gerne noch einmal, immer wieder, immer wieder, immer wieder: Ich will den Krieg der Geschlechter nach Möglichkeit beenden und suche sehnsüchtig nach Wegen, zu einem Geschlechter-Frieden.

Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Spruch: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“

Da haben wir ihn:

Dieses ist der zweite Spruch, auf den ich hereingefallen bin.

Ich hätte es besser wissen können. Ich hätte meinen Opa fragen müssen! Der wusste es besser. Der Krieg war zu ihm nach Hause gekommen und hatte mit voller Wucht die Tür eingetreten. Er musste nicht extra irgendwo hingehen.

Mit diesem bemerkenswert dummen Spruch wird so getan, als wäre der Krieg so etwas wie ein Open-Air-Konzert mit freiem Eintritt, zu dem man hingehen kann, wenn man will oder eben nicht, wenn einem die Musik nicht zusagt. Was waren wir für Traumtänzer, als wir den Spruch mit Filzstift auf dünne Pappe oder mit Lippenstift auf weiße Unterhemden gemalt haben!

Ich glaube, es war Trotzki, der sinngemäß gesagt hat: Vielleicht interessierst du dich nicht für den Krieg, aber der Krieg interessiert sich für dich. Es hätte also heißen müssen: Stell dir vor, der Krieg kommt zu dir, ob du willst oder nicht. Und noch etwas: Der Krieg wird anders sein, als die Kriege, von denen du bisher gehört hast und anders als die Kriege, die es vorher gab.

„There is a war between the rich and poor,

a war between the men and the women.

There is a war between the ones who say there is a war

And the ones who say that there isn’t.“

Leonard Cohen: ‚There Is A War’

„Everywhere is war.“

Bob Marley: ‚War’

Überall ist Krieg. Der Krieg, der in meiner Jugend im Hintergrund seinen Schrecken verbreitet hatte, war der Krieg in Vietnam. Vietnam war weit weg – und doch so nah. Er war im Fernsehen, im Wohnzimmer, in Schwarzweiß. Ich war erst siebzehn, ich hatte noch keinen Führerschein und noch keine Freundin, war aber schon in der großen, weiten Welt unterwegs als Austauschschüler in Amerika und lebte in Hartford, Michigan bei Methodisten. An Sonntagen habe ich für die Soldaten gebetet und ihnen Kaugummis und Grußkarten geschickt. Als ich zurückkam, habe ich mir die Haare lang wachsen lassen, habe den Kriegsdienst verweigert und Protestsongs gesungen.

Lieder bedeuten mir immer noch viel. Auch wenn es inzwischen andere Lieder sind. Lieder verklingen nicht. Sie liegen weiterhin auf der Lauer und warten nur darauf, aufgerufen zu werden. Wir haben sie nicht vergessen. Es kommt uns manchmal nur so vor, wir denken dann leichtfertig, dass sie nur Luft sind und dass sie verklingen wie Glockengebimmel. Pustekuchen.

Inzwischen bin ich mit Freunden nach Vietnam gereist – immer noch auf den Spuren meiner politischen Vergangenheit, mit den Schlagworten der unruhigen Zeit im Hinterkopf. ‚Vietnam – und der Traum vom Frieden’ heißt ein Beitrag, den ich als Souvenir mitgebracht habe. Der Traum vom Frieden hängt wiederum mit dem Traum von der Familie zusammen.

Peace!

Bernhard Lassahn

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