Wer sagt denn, dass wir gendern sollen?

 

Unsere neue Justizministerin Katarina Barley hat sich für die Aufnahme des Gendersterns in den Duden ausgesprochen. Das meldet der Tagesspiegel und fragt: „Soll Geschlechtergerechtigkeit sich auch in den offiziellen Regeln der deutschen Sprache durch ein kleines Zeichen bemerkbar machen?“  

Ja. Katarina Barley findet das gut. Sie freue sich, sagt sie, „über jede Veränderung, die dazu beiträgt, unseren Blick auf andere Formen von Identität und Lebensweisen zu entspannen“.

Stopp. Ich kann nicht mehr. Ich muss kurz unterbrechen. Wer es geschafft hat, bis hier zu lesen, musste schon so viele Kröten schlucken, dass ihm, wenn er nicht gerne Kröten schluckt und womöglich unter Kröten-Unverträglichkeit leidet, schlecht wird. So einer bin ich. 

Ich hoffe, es ist deutlich, was ich damit sagen will: Wir lesen flüchtig, wir haben den Scanner-Blick, wir sind ungeduldig und glauben vorschnell, dass wir mit den Ausdrücken, die uns aufgetischt werden, etwas anfangen können. 

Aber nein: Wir müssen, wenn wir solche Sätze lesen, Kröten schlucken, das heißt Begriffe hinnehmen, die mit Voraussetzungen behaftet sind, die wir nicht teilen. Wir können sie jedoch nicht bei jeder Gelegenheit zurückweisen, auch dann nicht, wenn wir das eigentlich tun sollten. Wir können es uns nicht leisten, immer wieder auf die Bremse zu treten und die Begriffe zu überprüfen. Ich versuche es dennoch. 

Das Gendersternchen ist so eine Kröte. Davon haben wir womöglich schon gehört. Wo? Wann? Haben wir eine Vorstellung davon? Was soll das eigentlich sein, ein Gendersternchen? Es sieht bekanntlich so aus: *. 

Wer legt fest, was dieses Gender-Sternchen bedeuten soll? Wer legt fest, was es aussagen soll? Wer kann erklären, wozu es gut sein soll? Ich mach’s. Ich werde es erklären. Aber ich bitte noch um einen Moment Geduld, ich will zunächst noch einen Schritt zurückgehen.

 

Gute Frage. Schlechte Antwort

Es wurde anfangs die Frage gestellt, ob sich Geschlechtergerechtigkeit in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen soll. Katarina Barley meint: Ja. Meine Antwort lautet: Nein! Eindeutig nein. 

Geschlechtergerechtigkeit ist, nebenbei bemerkt, auch eine Kröte, eine besonders fette sogar, die ich bei anderer Gelegenheit sezieren werde. Darauf soll es jetzt nicht ankommen. Tun wir mal einen Moment lang so, als könnte es tatsächlich so etwas wie Geschlechtergerechtigkeit geben und als wäre sie wünschenswert. 

Selbst wenn es so wäre, sollte sie sich nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. Nicht nur die Geschlechtergerechtigkeit sollte das nicht. Nichts und niemand sollte sich in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. Nichts und niemand kann den Anspruch erheben, in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar zu sein.

Auch die schlichte „Gerechtigkeit“ ohne die vorangestellten „Geschlechter“ sollte sich nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. Haben wir etwa jemals jemanden sagen hören: Gerechtigkeit sollte sich in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen? Nein. Das haben wir nicht. Warum wohl nicht? Fehlt uns was? Keine noch so hohle und wohlfeile Abstraktion sollte sich in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. 

Auch die Freiheit sollte sich nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen, nicht mal die Freiheit sollte das oder die Vielfalt. Die Gutmütigkeit sollte sich ebenfalls nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. Toleranz sollte sich nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. Der Weltschmerz sollte sich erst recht nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen und auch das Regierungsprogramm der Grünen sollte sich nicht in den Regeln der deutschen Sprache bemerkbar machen. Nichts und niemand.

 

Die Gleichgültigkeit des Ausrufezeichens

Vor allem sollte sich nichts und niemand in den „Regeln“ der deutschen Sprache bemerkbar machen. Ich habe extra immer wieder von den „Regeln der deutschen Sprache“ geschrieben und habe es so oft wiederholt, dass es auffällt: In den Regeln wird nichts bemerkbar gemacht. Da nicht. Regeln tragen keine Bedeutung. Regeln sind neutral. Das Regelwerk der deutschen Sprache ist so etwas wie ein Tisch, der keine Aussage macht über die verschiedenen Speisen, die uns da – wie man so schön sagt – aufgetischt werden.

Dem Ausrufezeichen ist es egal, ob es hinter einem üblen Schimpfwort steht wie hinter „ …!“, oder hinter einem flotten „Olala!“ Im Duden wird leidenschaftslos die korrekte Rechtschreibung festgelegt, die allerdings – wie wir inzwischen wissen – anfällig für Reformen ist. Da sind gewisse Änderungen möglich. Konrad Alexander Friedrich Duden hatte das nach ihm benannte Regelwerk entwickelt, als es noch keine automatische Rechtsschreibkorrektur gab. Wenn man in der guten, alten Zeit nicht wusste, wie etwas richtig geschrieben wird, musste man im Duden nachsehen. Schon Heinz Erhardt wurde immer wieder von seiner Ehefrau gefragt: „Was weißt du denn?“

Darüber hinaus gibt es noch das besonders von Schülern gefürchtete Regelwerk der Grammatik mit all den Problemen von Singular und Plural, Aktiv und Passiv, mit dem lästigen der, die das und dem sonstigen langweiligen Kram, der sich im Unterschied zur Schreibweise nicht ändert, der zu den „closed categories“ gehört, wie es unter Linguisten heißt.

Die Grammatik ist so etwas wie ein Betriebssystem, es macht keine Aussagen und nimmt keine Wertungen vor, es sorgt dafür, dass der Laden läuft, mehr nicht. Das grammatische System haben wir so tief verinnerlicht, dass es auch dann funktioniert, wenn es fehlerhaft angewendet wird. Wenn wir jemanden hören, der grammatische Fehler macht, dann verstehen wir ihn trotzdem, weil wir wissen, wie es richtig sein müsste.

Die grammatischen Regeln ändern sich nicht. Zwar hat der Postillion vorgeschlagen, ausnahmsweise eine neue Zeitform einzuführen, und zwar das Futur Drei, weil es andernfalls nicht möglich ist, über die Eröffnung des Berliner Flughafens zu sprechen. Aber das ist ein Sonderfall. 

Eingriffe in die Regeln der deutschen Sprache richten immer nur Schaden an. Sie sind zerstörerisch. Sie können nur kaputtmachen. Sie haben nichts Gutes. Sie haben keine positiven Effekte. Die können sie auch nicht haben. Sie können die gewünschten positiven Aussagen nicht machen, weil sie grundsätzlich keine Aussagen machen. Wozu also ist das Gendersternchen gut? Es ist zu gar nichts gut. Es ist schlecht. 

Was so ein unschuldiges Sternchen aussagen soll, sagt das Sternchen gar nicht aus. Es erklärt sich nicht von selbst. Was auch immer es ist, es wird dem Sternchen lediglich angedichtet. Es wird ihm zugeschrienen. Von wem eigentlich? Hier wird die Machtfrage gestellt. Das ist nicht nur eine gute, das ist sogar eine sehr gute Frage. Von wem also? Wer kann das machen? Wer darf die Machtposition einnehmen?

Vielleicht die Gesellschaft für deutsche Sprache? Die Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung? Der PEN? Der Alterspräsident im Bundestag? Das Grimm-Museum in Hanau? Der VS(S), der Verband der Schriftstellerinnen- und Schriftsteller, also die ewig Schreibenden und Urhebenden in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di? (möglicherweise habe ich die aktuelle Selbstbezeichnung nicht korrekt wiedergegeben). Von wem soll über das Gendersternchen bestimmt werden? 

 

Der Krieg der Sterne

Ich weiß es. Es sind einige namenlose Menschen aus Berlin, die selber tief betroffen sind und die nun selbstherrlich bestimmen wollen, was das Gender-Sternchen bedeuten soll und warum wir es brauchen:

„Wir sind einige Menschen aus Berlin und wir sind wütend. Verdammt wütend sogar. Unsere Wut hat verschiedene Gründe. Denn wir haben unterschiedliche Hintergründe und verschiedene Erfahrungen. Während manche von uns von Cis-Sexismus/Trans*-Feindlichkeitbetroffen sind, haben andere Klassismuserlebt. Von Sexismussind wir alle in unterschiedlicher Form betroffen.

Wir verorten uns alle mehr oder weniger in der Radikalen Linken und haben keine Lust mehr darauf, dass die linke Szene einerseits den Kampf gegen Diskriminierung auf die Fahnen schreibt und andererseits selbst etliche Ausschlüsse produziert, die kaum oder gar nicht beachtet, geschweige denn kritisch reflektiert und abgebaut werden. Und weil wir vor allem keine Lust mehr darauf haben, mit unserer Wut alleine zu sein, haben wir uns organisiert und dem Ganzen einen Namen gegeben: trans*genila f_antifa.

Wir benutzen den Unterstrich, zum Beispiel bei ‚Kommunist_innen’ oder ‚Jüdinnen_Juden’. Der Unterstrich soll Platz schaffen für alle Menschen, die nicht in das System der Zweigeschlechtlichkeithineinpassen, zum Beispiel Inter*- und Trans*-Menschen.

Das Sternchen bei ‚Frauen*’ und ‚Männer*’ soll auf die Existenz von verschiedenen Identitätskonzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit hinweisen, zum Beispiel trans* und cis oder hetero und lesbisch.“

Aha. So ist das also. Das hatte die trans*geniale f_antifa bereits im April 2014 festgelegt. Damals fing der Krieg der Sterne an. Die Sternenkrieger wollen uns vorschreiben, wie wir sprechen – d.h. wie wir denken – sollen. Wir sollten uns lieber danach richten. Denn die Sternenkrieger sind wütend, verdammt wütend sogar. Wir wissen, was passieren kann, wenn die Antifa wütend ist. 

 

Warum nennen sie sich eigentlich so? 

Antifa, weil Nazis und die Zustände, die ihre Ideologie möglich machen noch immer abgeschafft gehören.

F_ weil Feminismus nicht nur heißt, das Patriarchat kaputtzumachen, sondern auch andere Herrschaftsverhältnisse mitzudenken und zu sabotieren.

Trans*genial, weil immer noch viel zu viele Leute glauben, es gäbe nur zwei Geschlechter und wir diese Behauptung wegglitzern werden.“

Ein Stern, der deinen Namen trägt

Wie gesagt: Das war im April 2014. Lang ist es her, aber so lange nun auch wieder nicht. Steigen wir spaßeshalber in ein Raumschiff, das Zeitreisen ermöglicht, und düsen wir vier Jahre in der Zeit zurück. Wenn ich den lieben Lesern damals die aktuelle Sternenkunde der Fantifa vorgestellt hätte, sie hätten mich ausgelacht – nicht wahr? Sie hätten nur müde den Kopf geschüttelt und gesagt: Ach, das darf man nicht so ernst nehmen. Das erledigt sich von selbst.

Ich habe Grund zu der Annahme, dass es so gewesen wäre, denn ich habe hin und wieder Texte über Sprachentwicklungen geschrieben, die mir spanisch (oder irgendwie anders) vorkamen und habe oft genug gehört, dass ich mich lieber um andere Fragen kümmern sollte. Das wäre nicht so wichtig. 

 

Es ist wichtig

Es ist inzwischen unsere aktuelle Politik. Hier sprechen keine unbedeutenden Randgruppen. Hier spricht der Staat. Die Fantifa regiert. Katarina Barley macht genau das, was die wütenden Menschen in Berlin ihr vorgeschrieben haben. Sie macht das, was die Antifa will. Sie will es womöglich sogar selber. Oder sie denkt, dass sie es selber will. Wir können sie ja mal fragen, warum sie für den Genderstern ist und was sie daran so gut findet. Wetten, dass sie nicht mehr sagen kann, als das, was die trans*geniale f_antifa zu dem Thema geschrieben hat?! 

Glaubt sie im Ernst, dass damit irgendetwas Gutes getan wird? Weiß sie wirklich nicht, dass Eingriffe in die Regeln der deutschen Sprache immer schädlich sind? Hat sie womöglich Angst vor den wütenden Berlinern und kuscht? Oder ist sie in Wirklichkeit mit ihnen verbündet? Ist sie gar ein Fan der trans*genialen f_antifa? Ist sie ihr Sprachrohr?

Hofft sie, dass diese Menschen aus Berlin etwas weniger wütend werden, wenn sie sich für das Gendersternchen stark macht? Glaubt sie, dass sie damit den Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen können, irgendeinen Gefallen tut? Kennt sie diese Leute überhaupt? Glaubt sie, dass die Implantierung der Gendersterne in die Regeln der deutschen Sprache ihnen in irgendeiner Weise hilft? 

Rechnet Katarina Barley damit, dass es eines Tages einen Stern geben wird, der ihren Namen trägt – wie in dem Schlager ‚Ein Stern, der deinen Namen trägt‘ –, weil man ihr auf Erden für ihren Einsatz für den Genderstern ewig dankbar sein wird? Möchte sie als die Gender-Stern-Katarina in die Geschichte der deutschen Sprache eingehen? Möchte sie im Weltall einen symbolischen Fußabdruck hinterlassen?

Wird sie von jemandem bezahlt oder erpresst und glaubt in Wirklichkeit selber kein Wort von dem, was sie vor der Presse gegenüber zum Besten – besser gesagt: zum Schlechtesten – gibt, spielt aber tapfer ihre Rolle bis zum bitteren Ende, weil sie es tun muss. Oder vertritt sie eine Richtung innerhalb er SPD, der sie mit Leib und Seele anhängt und wird dabei von ihren Genossinnen solidarisch unterstützt? 

Ist es etwas, das sie wirklich will, als hätte sie immer schon den Traum gehabt, eines Tages der Presse erklären zu können, dass sie sich schon auf den Genderstern freut? Geht dieser Traum nun in Erfüllung?

Genießt sie den Machtschwips eines trotzigen Kindes, das vor aller Augen etwas kaputtmacht und dabei selbstgefällig grinst, weil sie sich das leisten kann? Keiner traut sich, einen kritischen Pieps zu sagen.

Wir müssen nicht länger spekulieren. Katarina Barley hat sich selbst dazu geäußert. Mit eben dem Satz, bei dem ich aufgehört hatte, weiterzulesen und erst einmal eine Pause brauchte. Ich sage es ehrlich: Ich glaube ihr nicht. Sie sagte, wie ich schon erwähnt habe: Sie freue sich „über jede Veränderung, die dazu beiträgt, unseren Blick auf andere Formen von Identität und Lebensweisen zu entspannen“.

 

Entspannen? Entspannen mit der Antifa? Die sind wütend, verdammt wütend sogar, verdammt noch mal

Wenn sie entspannen will, soll sie einen Wellness-Urlaub buchen. Woher will sie wissen, wie andere sich entspannen wollen? Für mich – da bin ich wahrscheinlich nicht der einzige – bringt der Genderstern keine Entspannung. Ganz im Gegenteil.

Einen wirklich entspannten Umgang mit dem Thema bieten dagegen die munteren Gesellen von Duivelspack mit ihrem Gassenhauer „Die Schönheit, die von innen kommt“. Die gefallen mir. Der Kleidungsstil ist „bunt“ – da kann man nicht meckern. Das Instrumentarium ist bemerkenswert. Die Musik hat was. Der Text ist kreativ und informativ. Da wird alles gesagt und gesungen, was ich auch sagen wollte. Das Lied ist gut. 

Das möchte ich den lieben Lesern und treuen Freunden der deutschen Sprache mit ihren hartnäckigen Regeln nicht vorenthalten – bitteschön: Schönheit, die von innen kommt – das Gendersternchen kommt natürlich auch drin vor.

 

 

Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

Gendersterne – das neue Make-up für die Sprache

 

 

Liebe Leser*innen! 

Sie haben es bestimmt schon bemerkt. In letzter Zeit steigen überall kleine Sterne auf, so genannte Gendersterne, wie bei „Leser*innen“. Warum?

Der 8. Juni steht vor der Tür. An dem Tag – gemeint ist das Jahr 2018 – will sich der Rat für deutsche Rechtschreibung, der die amtliche Schreibweise von Worten festlegt, mit dem Thema „geschlechtergerechte Schreibung“ befassen. Dabei soll es auch um den Genderstern gehen, dem jetzt schon das Bett vorgewärmt wird. Im Vorfeld wird der Genderstern von manchen Erdbewohnern, zum Beispiel von Anna Dombrowsky, buchstäblich angehimmelt. 

Katarina Barley wiederum ist die erste Stimme aus der Regierung, die sich für den Genderstern ausgesprochen hat. Sie ist nämlich unsere Kultusministerin … nein, stopp, stimmt nicht … sie ist unsere Frauenministerin und unsere Gleichstellungs- und Genderbeauftragte … nein, stimmt auch nicht. Sie ist unsere Justizministerin. So ist es richtig. Inzwischen ist sie auch nicht mehr die Justizministerin.

Sie weiß, wo es lang geht. Sie sagte: „Die Politik muss die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen berücksichtigen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen.“ Wenn sie das sagt, gilt das auch. Wenn sie uns erklärt, was die Politik „muss“, dann sollten wir das ernst nehmen.

 

Ein Gerücht: Eine ominöse Debatte soll zu Veränderungen beigetragen haben

Ich habe es versucht. Ich hatte nur wenige Worte aus einer Meldung vom Tagesspiegel zitiert und kommentiert und war nicht weit gekommen, weil mir alles falsch vorkam. Meine Widerrede war etwas lang geworden. Der Textausschnitt, um den es ging, ist vergleichsweise kurz:

Der Tagesspiegel fragt: „Soll Geschlechtergerechtigkeit sich auch in den offiziellen Regeln der deutschen Sprache durch ein kleines Zeichen bemerkbar machen?“ Katarina Barley findet das gut. Sie freue sich, sagt sie, „über jede Veränderung, die dazu beiträgt, unseren Blick auf andere Formen von Identität und Lebensweisen zu entspannen“.

Bis dahin war ich mit meinem Senf gekommen, den ich unter dem Titel Krötenschlucken mit Katarina Barley dazugegeben hatte. Weiter nicht. Es war nur der Anfang der Meldung gewesen. Es geht noch weiter. 

Katarina Barley sagte: „Die „Gender-Debatte“ habe zu Veränderungen viel beigetragen, gerade weil ihre Protagonistinnen und Protagonisten sich „gegen einen gesellschaftlichen Konsens“ gestellt hätten.

Hier muss ich wieder innehalten. Es ist schon wieder alles falsch. Es kommt mir vor, als würde ich jemanden beobachten, der auf dem Schwarzmarkt eine gefälschte Uhr anbietet, schließlich einen Kunden findet, der mit Falschgeld bezahlt und daneben stünde ein Polizist und klatschte Beifall. Es stimmt einfach gar nichts. 

Zunächst einmal verstehe ich den Satz nicht. Das heißt aber nichts. Es kann durchaus sein, dass unsere Ministerin etwas Richtiges gesagt hat und ich der Dumme bin, der es nicht kapiert. Doch ich wüsste wirklich nicht, wieso die Gender-Debatte gerade deshalb so viel zu irgendwelchen Veränderungen beigetragen haben soll, weil sie sich „gegen“ den „gesellschaftlichen Konsens“ gestellt hat? Aber vielleicht ist es so. 

Der Satz ist ein Spiegel-Labyrinth, in dem sich ein fragwürdiger Begriff in einem anderen ebenso fragwürdigen Begriff spiegelt. Herausgekommen ist eine Wurst mit zwei Enden: ein Satz, der vorne und hinten nicht stimmt. Vorne steht „Gender-Debatte“, hinten „gesellschaftlicher Konsens“. Wovon redet sie an der einen, wovon an der anderen Stelle? Wie passen die Enden zusammen? Ich weiß es nicht. 

 

Gut, dass wir darüber geredet haben

Der Anfang ist eine glatte Lüge. Es gab – und gibt – keine Gender-Debatte. Jeder Ansatz zu so einer Debatte wurde von Feministen im Keim erstickt. Es gab lediglich einige nicht enden wollende Gender-Monologe in Ergänzung zu den Vagina-Monologen. 

Bassam Tibi hat neulich geklagt, dass es in der deutschen Öffentlichkeit keine „Islam-Debatte“ gibt, sondern lediglich „Gezänk“. Das gilt auch für die Gender-Debatte. Da war nichts und ist nichts. Wenn Frau Barley nun so tut, als hätte es doch eine Debatte gegeben, die sogar Ergebnisse vorweisen kann, dann ist das nicht nur falsch, dann ist das … nun, da fehlen mir die Worte.

Die will ich bei anderer Gelegenheit suchen, sonst komme ich nicht voran. Ich will mir das andere Ende ansehen: den „gesellschaftlichen Konsens“. Welchen meint sie? Wir wissen es nicht – und können es nicht wissen. Denn es gibt nicht nur einen gesellschaftlichen Konsens, es gibt viele, die sich jeweils um unterschiedliche Fragen drehen. 

Um welche Frage geht es? Eben das wissen wir nicht. Daher wissen wir auch nicht, was die Frage, zu der es den erwähnten gesellschaftlichen Konsens gibt, mit irgendeiner Frage zu tun haben könnte, die entsprechend dazu in der Gender-Debatte aufgeworfen wurde, die nicht stattgefunden hat. 

Wir ahnen es. Es geht um den Genderstern und seinen Platz in den Regeln der deutschen Sprache. Gibt es da einen Konsens? Gibt es etwa einen Konsens in der Frage, was dieser Gender-Stern überhaupt bedeuten soll? Wie man ihn ausspricht? Gibt es einen Konsens in der Frage, an welcher Stelle eines Wortes der Stern auftauchen soll? Gibt es einen Konsens in der Frage, ob er regelmäßig angewendet werden soll oder nach Belieben? Nein.

 

Der Griff nach den Sternen ist ein Griff nach der Regel

Es gibt einen ganz anderen Konsens, den Katarina Barley sicherlich nicht meint. Aber ich. Ich meine den Konsens in der Frage, ob ein Eingriff in die Regeln der Sprache überhaupt möglich ist. In dieser Frage gibt es einen großen Konsens, einen sehr großen sogar, einen Mega-Konsens sozusagen, der in allen Gesellschaften und zu jeder Zeit Gültigkeit hatte und von jedem anerkannt wurde, der zur Sprachgemeinschaft gehörte. Der Konsens lautet, dass das Regelwerk einer Sprache nicht zur Disposition steht und grundsätzlich nicht freigegeben ist für Veränderungen, die sich irgendwelche Aktivisten wünschen, die sich gerade in einer Machtposition wähnen. 

Gegen diesen Konsens kann sich niemand stellen. Wer es dennoch versucht, muss scheitern. Offenbar hat Katarina Barley das vor. Sie will am Regelwerk der Sprache rumpfuschen. Wenn sie das macht, kommt sie … nein, nicht etwa in Teufels Küche, sondern in die Hexen-Küche des Sprachfeminismus. Wenn man Grundregeln bricht, gibt es keinen Halt mehr. Neue Regeln haben dann so wenig Gültigkeit wie alte, das Verfallsdatum wird zum ständigen Begleiter.

Vielleicht ist ihnen aufgefallen, dass Katarina Barley von „Protagonistinnen und Protagonisten“ gesprochen hat. Warum nicht von „Protagonisten“? Oder von „Protagonist*innen“ mit *? Sie wünscht sich doch den Gender-Stern. Warum nicht an dieser Stelle? Wollte sie etwa sagen, dass Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, an der für sie so wichtigen Gender-Debatte gar nicht teilgenommen haben? Waren sie etwa keine „Protagonistinnen“ und keine „Protagonisten“ dieser Debatte? Waren Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, von dieser legendären Debatte ausgeschlossen? Oder ist das nicht so gemeint? Soll die Verwendung des Sterns eine Aussage haben oder nicht?

Katarina Barley weiß es auch nicht. In der feministischen Hexenküche herrscht Chaos. Da kocht immer gerade irgendetwas über. Die Formulierungen, die da zusammengebraut werden, taugen nichts. Damit kann man über Geschlechterthemen nicht mehr differenziert und ergebnisoffen reden. 

 

Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

Sehen wir uns die Möglichkeiten an. Wie soll es denn nun heißen? „Protagonistinnen und Protagonisten“? Oder „ProtagonistInnen“ mit Binnen-I? Oder „Protagonist_innen“ mit Unterstrich? Oder „Protagonist*innen“ mit Genderstern in der Mitte oder mit Genderstern am Ende? Die willkürlich ausgedachten Regeln kommen sich zunehmend gegenseitig ins Gehege. Sie widersprechen einander. Keine kann Gültigkeit beanspruchen. Keine funktioniert. Wenn das die Lösungen sein sollen, möchte ich lieber wieder das Problem haben.

Wo gehört das Sternchen überhaupt hin? Überall hin? Das ist eine „gute Frage“, wie man heute gerne sagt. Soll der Gender-Stern auch dann eingesetzt werden, wenn Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, in dem Zusammenhang keine Rolle spielen? Soll ein Gender-Stern immer leuchten? Dann hätten wir nicht nur hier und da ein kleines Sternchen, dann hätten wir einen Sternenhimmel, in dem ein einzelner Stern nicht mehr auffällt.

Ich überlege noch, wie ich die Frage so formulieren kann, dass sie nicht wie ein naheliegender, aber womöglich als frauenfeindlich geltender Witz wirkt. Es ist die entscheidende Frage. Sie lautet: Sollen diejenigen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, „in der Regel“ erwähnt werden? 

Das sähe dann so aus, wie in der Ankündigung eines kostenlosen Workshops zur neuen Datenschutz-Grundverordnung. Da heißt es: „Der Workshop richtet sich primär an Literaturveranstalter*innen sowie Solo-Selbständige der Literaturbranche wie freie Autor*innen, Lektor*innen, Übersetzer*innen.“ 

Hier sind die Sterne überall gesetzt. Wenn also bei den interessierten Autoren, Lektoren und Übersetzern jemand dabei sein sollte, der sich keinem Geschlecht zuordnen kann, dann darf der oder die oder das sich getrost angesprochen fühlen. Denn der oder die oder das wird durch die Einladung ausdrücklich nicht ausgegrenzt. Vielleicht ist es eine überflüssige Rücksichtnahme, weil von denen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, sowieso keiner, keine oder keines an dem Workshop interessiert ist und wenn doch, dann legt er oder sie oder es womöglich keinen Wert auf einen Stern. Aber es ist gut gemeint.

Wie aber verhält es sich mit der Ankündigung einer Veranstaltung im Literaturkeller in Berlin zum Gedenken an Günter Herburger? Da hieß es: „Freunde*innen, Weggefährten*innen und Leser*innen erinnern (sich) an den Dichter, der am 3. 5. 2018 starb.“

Die Literaten aus dem Keller üben noch, das merkt man. Haben sie es richtig gemacht? Muss es „Freund*innen“ oder „Freunde*innen“ heißen, „Weggefährt*innen“ oder „Weggefährten*innen“? Wie auch immer. Viel interessanter ist die Frage, was uns die Sterne in diesem Fall sagen wollen.

Bei dem Workshop handelt es sich um eine Einladung, da sollen uns die Sterne zeigen, dass niemand, der sich keinem Geschlecht zuordnen kann, ausgeschlossen werden soll. Bei dem Literaturkeller ist das anders. Da wird eine Ankündigung gemacht. Sollen die Sterne etwa zeigen, dass sich unter den angekündigten Weggefährten, Lesern und Freunden Personen befinden, die sich keinem Geschlecht zuordnen können und Wert darauf legen, dass das in der Ankündigung berücksichtigt wird?

Oder ist es gar nicht so? Ist es vielmehr so, dass die angekündigten Weggefährten, Freunde und Leser ganz genau wissen, welchem Geschlecht sie sich zuordnen wollen und die Gendersterne in ihrem Fall gänzlich fehl am Platze sind?

Dann hätte der Buchhändlerkeller sie falsch bezeichnet und schlecht angekündigt. Kriegt man sein Eintrittsgeld zurück, wenn man extra deswegen angereist ist und dann enttäuscht feststellen muss, dass unter den angekündigten „Weggefährt*innen“, „Leser*innen“ und „Freund*innen“ niemand dabei ist, der sich keinem Geschlecht zuordnen kann? 

 

Geisterschiffe mit namenlosen Untoten an Bord

Katarina Barley hat es auch falsch gemacht, als sie von „Protagonistinnen und Protagonisten“ gesprochen hat. Das war nicht anders zu erwarten. Die Gender-Sprache verführt leicht zu falschen Sätzen. Was hat sie diesmal falsch gemacht? 

Ich sagte ja schon, dass es keine Gender-Debatte gab. Es gab kein Thema, unter dem so eine Debatte gestanden hätte; es gab keine Fragestellung, die bei so einer Debatte aufgeworfen worden wäre. Es gab auch niemanden, der an so einer Debatte teilgenommen hat. Die Gender-Debatte, von der Barley behauptet, dass es sie gab, ist ein Geisterschiff mit namenlosen Untoten an Bord.

Wenn wir von ihr hören, dass es dabei „Protagonistinnen und Protagonisten“ gegeben hat, dann wirkt es auf den ersten Blick so, als hätten sich da zwei Lager gegenübergestanden, wie man das bei einer echten Debatte erwartet: Auf der einen Seite die Befürworter, auf der anderen Seite die Gegner; auf der einen Seite Frauen, auf der anderen Männer.

Aber es gab diese Personen nicht. Wenn wir bei Katarina Barley nachfragen und sie bitten würden, uns einige Namen der Protagonistinnen und Protagonisten zu nennen – wetten, dass sie keinen einzigen nennen könnte! 

Warum spricht sie trotzdem von „Protagonistinnen und Protagonisten“, obwohl es diese Personengruppe nicht gibt? Weil sie es aus Prinzip tut. Weil sie es „in der Regel“ tut. Weil sie den feministischen Sprachvorgaben folgt. Da ist es nicht so wichtig, ob es eine Personengruppe, über die man spricht, tatsächlich gibt und wie bedeutend sie ist. Wichtig ist allein, wie sie bezeichnet wird. 

Sie reden dann von „Gästinnen und Gästen“ und von „Mitgliedinnen und Mitgliedern“, auch wenn es sprachlich keine „Gästin“ und keine „Mitgliedin“ gibt. Sie reden von gefallenen „Soldatinnen und Soldaten“, auch wenn unter den 166 Bundeswehrsoldaten, die seit 1992 ihr Leben lassen mussten, keine einzige Frau ist. Manchmal verplappern sich Politiker und reden von den lieben „Wählerinnen und Wählerinnen“, einfach so, weil das automatisch so durchrattert. Sie merken es nicht einmal. 

Das Weib will nicht die Wahrheit, heißt es bei Schopenhauer. Damit sagt er nicht, dass Frauen lügen (auch wenn er das vielleicht an anderer Stelle tut, das weiß ich nicht …), er sagt zunächst nur, dass Wahrheit nicht ihr Ideal ist. Wahrheit ist auch ein heikles Ideal. Vielleicht gefällt sie uns nicht, wenn wir ihr begegnen.

Wahrheit hat man nicht, man kann sie nur anstreben, man kann sie nicht für sich beanspruchen. Aber „das Weib“, wie Schopenhauer sagte (zu seiner Zeit war das die normale Rede), strebt nicht gerne in Richtung Wahrheit. Es könnte sein, dass die Wahrheit nicht gut aussieht. Angestrebt wird das, was gut aussieht. Das, was sich im Moment gut anfühlt. Angestrebt wird, was aktuell korrekt scheint – nicht das, was sich bei genauem Hinsehen als wahr erweist und dann womöglich nicht gefällt. Natürlich wollen alle, wie es heute heißt, „Gesicht zeigen“, aber sie wollen sich vorher schminken. 

Das Gendersternchen ist das neue Make-up für die Sprache. Es geht nur um das Erscheinungsbild. Nicht um den Inhalt. Das Erscheinungsbild der Sprache wird mit Gendersternen bis zur Unkenntlichkeit mit moralischem Glitzer und mit falschem Toleranz-Glanz überschminkt. Die politisch korrekte Sprache sieht aus wie eine gealterte Nutte.

Sätze mit einem Genderstern sind irreführend oder falsch. Sie werden durch die kleinen Sternchen mit einem Firnis von Heuchelei überzogen. 

 

 

Sage, was du nicht sagen willst

Wir befinden uns im Krieg der Sterne

In Kanada. Aber nicht nur da. Der Krieg hat seine eigene Sprache, seine eigenen Parolen und Erkennungszeichen.

Sage mir, welches Pronomen Du benutzt und ich sage Dir, ob Du mein Feind bist. Du musst ein gendergerechtes Pronomen verwenden. Sonst bist du mein Feind. Was hat es damit auf sich?

Warum ist es neuerdings in Kanada strafbar, sie nicht zu verwenden? Es gibt Menschen, die sich nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen können. Sie können sich allerdings auch keiner Gruppenbezeichnung zuordnen. Manche nennen sie launig „Buchstabenmenschen“, weil sich die, die sich nicht festlegen können, selbst mit einer lockeren Reihung von Buchstaben als „LGBTTQ“ bezeichnen – aber da bin ich womöglich nicht mehr auf dem neuesten Stand: Die Liste ist mal länger, mal kürzer, mal ist ein Q dabei, mal nicht, mal ein +, mal nicht. Auch die Reihenfolge ändert sich. Eigentlich ist es überhaupt keine Gruppe, keine klar erfassbare „community“, über die man sagen könnte, dass sie gemeinsame Interessen hätten. Im Gegenteil: Sie sind sich untereinander überhaupt nicht grün.

Grün sind jedoch ihre Fürsprecher – politisch gesehen. Viele sind rot. Wenn auch keiner genau sagen kann, wer diese LGBTTIler sind, wie man sie korrekt nennen soll und was sie überhaupt wollen, so kann man immerhin ihre Gegner klar ausmachen: Das sind böse, transphobe Menschen; Finsterlinge, die diese Minderheiten diskriminieren, marginalisieren, unterdrücken und ihnen – das wird ernsthaft so gesagt – ihre „Menschlichkeit“, ihre „Würde“ und ihre „Existenzberechtigung“ absprechen. Kurz: Es sind Schwerverbrecher.

Deshalb muss der Kampf gegen Transphobie mit aller Härte geführt werden. Deshalb drohen entsprechende Strafen. In Kanada gibt es neuerdings „human rights tribunals“, also Menschenrechtstribunale. Wer vor ein solches Tribunal gestellt wird, muss fürchten, dass ihm die Existenzberechtigung abgesprochen wird, dass er aus der Gemeinschaft ausgestoßen und in seiner beruflichen Existenz vernichtet wird. Solche Fälle gibt es bereits. Nun geht es Jordan Peterson an den Kragen, der internationalen Ruhm und eine riesige Anhängerschaft sowohl unter Konservativen als auch unter Liberalen hat – und als besonders tragische Ironie: Auch und gerade unter den LGBTTIlern.

 

Er weigert sich, die ausgedachten Worte auszusprechen!

Jordan Peterson hatte das neue Gesetz von Anfang an kritisiert – und zwar in ungewöhnlicher Deutlichkeit. In diesem Video sieht man es ab Minute 17:00: Wenn er verurteilt würde, würde er nicht zahlen, wenn er ins Gefängnis müsste, würde er in den Hungerstreik treten. Nein, er wird diese Worte nicht gebrauchen: „I am not going to use the words other people require me to use.“ Das Gesetzt heißt Bill C16. Eine großartige Neuigkeit – „great news“ – nannte es der „liberale“ kanadische Premierminister Justin Trudeau, als die Vorlage den Senat passiert hatte, und fügte der frohen Botschaft ein neckisches „#LoveisLove“ hinzu. Denn ab nun war es illegal, jemanden aufgrund seiner Gender-Identität oder der entsprechenden Erscheinungsform zu diskriminieren: „Making it illegal to discriminate based on gender identity or expression.“

Das ist neu. Es heißt nicht – wie womöglich manche wohlmeinend glauben –, dass man niemanden wegen seines Geschlechts benachteiligen darf. Das war einmal. Die Zeiten sind vorbei. Von „Geschlecht“ (Sex) ist nicht mehr die Rede, sondern von Gender-Identität und ihren Erscheinungsformen. Eine Gender-Identität gibt man sich selbst (heute fühle ich mich irgendwie als Frau) und bringt diese selbst gewählte Identität beispielsweise mit dem Einsatz eines Lippenstifts zum Ausdruck. Wer „fluid“ ist – also mal männlich, mal weiblich im fließenden Wechsel –, macht das durch entsprechende Armreifen deutlich.

Machen Sie nicht den Fehler, dies als Kuriositäten abzutun, denen man mit Humor und Gelassenheit begegnen sollte. Es handelt sich um Repressionen, die mit der ganzen Wucht der Staatsmacht und mit unkontrolliertem Hass seitens der Krieger für soziale Gerechtigkeit (social justice warrios) brutal durchgesetzt werden. Es ist kein Scherz.

Dass die Strafen unverhältnismäßig hart und die Masken der Zivilisation gefallen sind, hat sich womöglich schon herumgesprochen. Sehen Sie sich ab Minute 0:40 das Video an, das bereits auf der Achse veröffentlicht war. Da sehen sie, was das für Kämpfer sind, die sensiblen Umgang und Respekt einfordern und sich nun zusammen mit ihrem Premierminister über Bill C16 freuen: Aufgebracht schreien sie Jordan Peterson als „transphobic peace of shit“ nieder. Tamara Wernli sieht das als schlimmes Beispiel dafür, wie respektlos Studenten heutzutage sind – mehr noch: Es ist ein Beispiel für das Auftreten der Gender-Sturmtruppen.

Vielleicht wundert sich jemand. Es handelt sich bei dieser Trans-Comunity um eine verschwindend kleine Minderheit. Warum macht man ausgerechnet um die paar Leute so ein großes Theater? Um die geht es gar nicht. Die Betroffenen wollen die Sprachvorschriften, die nun zu ihrem angeblichen Gunsten durchgesetzt werden, überhaupt nicht. Sie unterstützen Jordan Peterson in seinem Widerstand. Jordan Peterson ist Psychologe, er kennt solcher Fälle und erhält überwältigende Zustimmung aus der Comunity (die, wie gesagt, gar keine ist). Als Beispiel habe ich ein Video herausgesucht, das schon im Titel alles verrät: „I’m Trans, and I Love Jordan Peterson“.

 

Sprache als Verletzung von Menschenrechten

Dennoch. Ihm wird vorgeworfen, dass er mit seiner Weigerung, genderneutrale Pronomen zu verwenden, die Universität unsicher mache, dass er das Wohlbefinden der „students“ (ich verwende hier den englischen Ausdruck, weil der gendergerechte deutsche Ausdruck noch in Arbeit ist) gefährde und dass er diese „students“ – das wird ernsthaft so vorgetragen – „missbrauche“. So wird es öffentlich in einer Talkshow gesagt. Dazu wird live eine Transperson zugeschaltet, die sich allerdings für Jordan Peterson ausspricht – egal. Die Vorwürfe bleiben: Jordan Peterson begeht Verletzungen von Menschenrechten und Missbrauch (ab Minute 16:20).

Diskriminierung gibt es sowieso nur in der Sprache (und auch da nicht). Es geht darum, Menschen zu bestrafen, ihnen zu schaden, sie zu beschuldigen und zu verleumden. Es geht darum, etwas zu verlangen, das überhaupt nicht geleistet werden kann: Die Kanadier sollen ihren Sprachgebrauch ändern. Alle. Bei jeder Gelegenheit. Denn ihr bisheriger Sprachgebrauch stellt eine Diskriminierung dar. So sehen es die „Kämpfer für soziale Gerechtigkeit“. Es ist ein ungeheuerlicher Gedanke.

Doch nun wird deutlich, warum der Sprache so große Bedeutung zukommt. Die Diskriminierung von Transpersonen zeigt sich an der Art, wie über sie geredet wird. Sonst nicht. Wo denn auch? Eine Diskriminierung in der Sprache kann sich allerdings bei jeder Gelegenheit ergeben. Jordan Peterson will auf die Frage, die eine weiblich klingende Stimme gestellt hat, antworten, wird dabei unterbrochen und sagt genervt: „Let me talk to her“ – also: Lass mich doch mal mit ihr reden. Darauf fährt ihm diese weiblich klingende Stimme über den Mund und befiehlt: „Don’t call me that“: Nennen Sie mich nicht so. Nicht wie? Er soll sie nicht als „her“ bezeichnen, nicht als „sie“.

Sondern? Das dürfen sich die LGBTTIler aussuchen. Ab Minute 2:25 wird in diesem Video eine kleine, vorläufige Liste eingeblendet: ze/zim/hir/em/per … Nur eine vorläufige Liste, wie gesagt. Es gibt noch mehr Möglichkeiten. Unzählige. Jordan Peterson will einwenden, dass er sich die nicht alle merken kann. Das lassen sie ihm nicht durchgehen: Er könne sich in seinem Handy Notizen machen. Als Jordan Peterson das ablehnt, wird ihm vorgeworfen, dass er faul ist. Hier wird angestrengt ein Feindbild aufgebaut. Der Feind steht rechts. Der Feldzug der Advokaten der LGBTTLIler ist Teil des Kampfes gegen Rechts. Wer nicht für #LoveisLove ist, gilt als Nazi. An der Sprache kann man sie erkennen.

Auch Jordan Peterson wird in die rechte Ecke geschoben. Die „Kämpfer für soziale Gerechtigkeit“ versuchen es jedenfalls. So soll er sich dafür rechtfertigen, dass so viele „Nazis“ auf seiner Seite stehen. Also muss er auch einer von ihnen sein. Das ist absurd. Wenn man sich seine Videos zum Thema Persönlichkeit oder die über die Schrecken totalitärer Systeme ansieht (es gibt dermaßen viel von ihm Netz, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, Empfehlungen auszusprechen), erfährt man, was einen Menschen dazu bringt, sich wie ein Auschwitz-Wärter zu verhalten und wie man diese Entwicklung verhindern kann. Da könnten die schreienden „students“ noch was lernen.

Einen Krieg der Sterne haben wir bei uns nicht? Doch, doch. Die kleinen Sterne haben wir inzwischen auch, liebe Leser*innen, das ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen und Sie haben vielleicht auch schon bemerkt, wer sie nutzt und wer nicht. Wer sie nicht benutzt, ist rechts. Das ist leicht zu erkennen. Der Ton wird schärfer. Die Strafen werden härter.

 

 

 

Wie man mit Sternen lügt

 

Die Gendersterne, die heute reflexhaft nicht nur als Anrede, sondern gleichwohl als definitive Aussage eingesetzt werden, täuschen uns, sie lügen – sie liefern uns in den allermeisten Fällen eine falsche Beschreibung der Zustände.

Wir sollten den verlogenen „Krieg der Sterne“ beenden. Damit meine ich die Marotte, so oft wie möglich ein Gendersternchen als Duftmarke zu hinterlassen oder andere bunte Fähnchen zu schwenken, die jemanden als guten – genau gesagt: als besseren – Menschen ausweisen sollen.

Wenn man das Wahlprogramm der Grünen liest, kommt es einem vor, als würde im Hintergrund leise eine Kinderstimme singen: „Weißt du, wieviel Sternlein stehen …“ Ich will es gar nicht wissen. Was ist los? Sind denn die vielen Politiker*innen, Nachrichtensprecher*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen im Moment alle sternhagelvoll?

 

Maskenzwang und Sternchenzwang

Robert Habeck hat es im Unterschied zu Annalena Baerbock richtig gemacht. Das meint zumindest der eifrige Plagiatsprüfer Stefan Weber; Habeck habe nämlich auf das Zitiergebot hingewiesen und vermerkt: „Wissenschaftler*innen, von denen ich besonders lernte, habe ich im Text zitiert.“ Ist das richtig so? Ich meine: nein.

Ich bin sicher, dass viele der Zitierten nur „Wissenschaftler“ (sic!) sind, die ihrerseits solche Sternchen benutzen, um auf eine Fußnote hinzuweisen und nicht auf ein Problem mit der Geschlechtszugehörigkeit. Außerdem vermute ich, dass die männlichen Wissenschaftler nicht alle damit einverstanden sind, einen „-innen“-Schwanz verpasst zu kriegen, als würde man ihnen einen Titel verleihen, den sie nie gewollt haben, auf dass sie in eine Kiste gesteckt werden können, in die sie nicht hineingehören.

 

Ein Stern verlischt

Dieses kleine Sternchen, wie es einst von Wissenschaftlern genutzt wurde – und auch weiterhin genutzt wird –, kann als Zeichen für eine Fußnote auf alles Mögliche hinweisen (siehe dazu die Fußnote*). Nicht so bei Habeck. Sein Sternchen ist in seiner Strahlkraft auf ein trauriges Minimum reduziert und weist hauptsächlich auf seine Geltungssucht hin – auf seinen Drang, sich mit möglichst vielen Gutmenschen-Orden zu schmücken.

Habeck hat nicht richtig zitiert: Er hat das Fußnotensternchen missbraucht und die „Wissenschaftler“ falsch bezeichnet, und er hat vermutlich gewusst, was er tut und den Wissenschaftlern damit antut. Ein Schriftsteller müsste sich mit den Grundfragen der Kommunikation auskennen und müsste das wissen, was ich ihm nun (wenn wir den unwahrscheinlichen Fall annehmen, dass er den Text liest) – und ebenso den geneigten Lesern – erklären werde:

 

Ansprechen und bezeichnen

Bei einem Sprechakt – also immer, wenn wir mit anderen über Dritte reden – haben wir es mit zwei grundsätzlich verschiedenen Gruppen zu tun, um es kurz in groben Strichen nach den Vorstellungen von Cicero nachzuzeichnen.

Wir vermitteln mit unseren sprachlichen Möglichkeiten zwischen der Gruppe A (zwischen denen, die wir ansprechen wollen) und der Gruppe B (zwischen denen, über die wir sprechen). Die einen sprechen wir an, die anderen bezeichnen wir. Ein wichtiger Unterschied. In Bezug auf Gruppe A sind vage Vermutungen unumgänglich, in Bezug auf Gruppe B erwarten wir verlässliche Aussagen.

Die Mitglieder der Gruppe A sind uns weitgehend unbekannt; wir treten, um mit Hölderlin zu sprechen, ins Offene; wir können über die vielen Fremden, an die wir uns wenden, keine soliden Aussagen machen. Das erwartet auch keiner. Wir sind auf Vermutungen, auf Vorurteile und auf Spekulationen angewiesen. Wir sprechen die Fremden freundlich an, sprechen aber nicht über sie, sondern sprechen zu ihnen; wir beschreiben sie nicht und maßen uns nicht an, Aussagen über sie zu machen, weil wir sie nicht kennen.

 

Viele Fremde und wenige gute Bekannte

Beim Umgang mit der Gruppe B gelten andere Maßstäbe. Da haben wir eine andere Glaubwürdigkeit, eine andere Autorität, eine andere Verantwortung. Alles, was sich in Gruppe B befindet – das können Sachverhalte oder Personen sein, die wir tatsächlich näher kennen – beschreiben wir mit möglichst adäquaten Worten, so gut wir es eben können.

Die Gruppe B sollte uns einigermaßen vertraut sein, wir sollten wissen, wovon wir reden. So qualifizieren wir uns überhaupt erst für einen Sprechakt und können den Anspruch erheben, dass uns jemand zuhört. Wir haben etwas zu sagen; etwas Besonderes, etwas Eigenes, etwas Erwähnenswertes – und wir bemühen uns, die bestmöglichen Formulierungen zu finden.

 

Schlagseite backbord oder Schlagseite steuerbord

Da kann es zu extremen Schieflagen kommen. Nach beiden Seiten. Es kann zu einer bedrohlichen Schlagseite kommen, die das schöne Schiff der Kommunikation – bildlich gesprochen – zum Kentern bringt.

Da könnte sich jemand unverhältnismäßig stark der Gruppe A zuwenden, damit es in Hinblick auf seine eigenen Interessen zu einem möglichst erfolgreichen „Hörerfang“ kommt, wie es Joseph Goebbels nannte. Er würde sich etwa folgendes sagen: Mir ist es vor allem wichtig, dem Publikum zu schmeicheln und möglichst jeden mitzunehmen und genau da abzuholen, wo er im Moment steht, auch wenn es auf Kosten der Wahrhaftigkeit meiner Aussagen geht.

Auf der anderen Seite könnte jemand die extreme Gegenposition einnehmen und sich sagen: Für mich ist es zweitrangig, ob ich es den Leuten, die ich sowieso nicht kenne, leicht mache, sofort zu verstehen, was ich sagen will. Für mich gilt, dass ich mich dem Gegenstand mit größtmöglicher Sorgfalt zuwende und Worte finde, die am besten passen, unabhängig davon, ob sie von jedem X-Beliebigen unmittelbar verstanden werden.

 

Was an einer Stelle hinzukommt, fehlt an anderer Stelle

Nun das Problem: Die Sternenkrieger befinden sich in einer extremen Schieflage. Sie haben nur noch die Gruppe A im Blick und argumentieren bekanntlich, dass sie niemanden ausgrenzen, sondern bewusst alle ansprechen und ausdrücklich miteinbeziehen wollen, insbesondere diejenigen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, also die sogenannten Diversen. Sie schleimen sich an ein imaginäres Publikum ran und wenden sich dabei von der Suche nach Wahrhaftigkeit ab.

Sie beschränken sich auf das Ansprechen. In Hinblick auf die Gruppe A mag die Sternchen-Formel, die von den Sternenkriegen so gerne und so ausgiebig verwendet wird, durchaus eine geeignete Anrede sein. Wenn auch in sehr, sehr seltenen Fällen. In Hinblick auf die Gruppe B wird dieselbe Formel zu einer falschen Bezeichnung – zu einer Lüge.

Immer, wenn wir an einer Stelle in ein komplexes System eingreifen, wirkt es sich auch an einer anderen Stelle aus. Dem Gewinn auf der einen Seite (ich setze ein neues Zeichen für Vielfalt) steht ein Verlust auf der anderen Seite gegenüber (ich mache neuerdings falsche Angaben über die Zusammensetzung der Gruppen, über die ich spreche).

 

Wie man mit Gendersternchen lügt

Wenn ich beispielsweise alle „Musikfreund*innen“ zu einem Konzert von zwei „Gitarrist*innen“ einlade, dann mag die Sternenformel in Hinblick auf die Gruppe der Eingeladenen angemessen sein. Denn es könnte sich unter ihnen ein mir bisher unbekannter Diverser befinden, der sich speziell durch das Sternchen angesprochen fühlt und zum Konzert kommen will.

Wenn sich jedoch bei dem von mir angekündigten Gitarren-Duo keiner von beiden als divers versteht, dann habe ich das Duo mit einem falschen Etikett versehen. Ein Etikettenschwindel. Schließlich habe ich durch den Gebrauch des Sternchens ausdrücklich betont, dass sich ein Diverser unter ihnen befindet. Es war ein Fehler, die beiden Musiker als „Gitarrist*innen“ anzukündigen, eine falsche Aussage, ich hätte es besser wissen müssen und ich wusste es auch besser.

 

Wenn jemand extra angesprochen wird, gibt es ihn dann auch?

Stellen wir uns vor, unser Lieblingsrestaurant öffnet wieder und macht so einen Fehler bei der Beschreibung seines Angebotes. Auf der Speisekarte steht: „Neu! Gemischter Vorspeisenteller mit Scampi“. Gut, denke ich, das nehme ich. Aber, ach … es ist doch nur der gemischte Vorspeisenteller, den es schon vor der Neueröffnung gab. Scampi sind nicht dabei. Auch wenn sie extra angekündigt wurden.

Richtig wäre gewesen, wenn auf der Speisekarte gestanden hätte: Der Wirt möchte betonen, dass er grundsätzlich keine Vorbehalte gegen Scampi hat, aber dass sie deshalb auch bei der gemischten Vorspeisenplatte dabei sind, ist eher unwahrscheinlich.

Es ist auch eher unwahrscheinlich, dass Habeck diesen Text liest. Aber kann man es wirklich ausschließen? Zu denen, die ich ausdrücklich ansprechen und unbedingt mit einbeziehen will, gehört er jedenfalls dazu. Das möchte ich in aller Deutlichkeit betonen.

 

Bei Gruppen merkt man es nicht so

Wenn es um Gruppen geht, fällt der Fehler, der den Sternenkriegern regelmäßig unterläuft, nicht unmittelbar auf, weil in den meisten Fällen die genaue Zusammensetzung der Gruppen nicht näher betrachtet wird. Im Einzelfall wird es sofort deutlich, wie wir bei den Scampi gesehen haben – und gleich noch einmal bei Spotify sehen werden.

Bei einer gemischten Vorspeisenplatte würde das Fehlen einer einzelnen Zutat wahrscheinlich auch nicht von jedem Gast bemerkt werden. Wenn jedoch extra darauf hingewiesen wird, und eine Zutat ausdrücklich als „neu hinzugekommen“ angekündigt wird, und dann doch nicht dabei ist, dann handelt es sich um ein falsches Versprechen, um Betrug.

Der Betrug kommt zustande, weil nicht mehr zwischen Anrede und Aussage unterschieden wird. Die Sterne, die heute reflexhaft nicht nur als Anrede, sondern gleichwohl als definitive Aussage eingesetzt werden, täuschen uns, sie lügen – sie liefern uns in den allermeisten Fällen eine falsche Beschreibung der Zustände.

 

Seltene Möglichkeiten oder wahre Begebenheiten?

Auf die Gruppe A bezogen, verweist so ein Sternchen lediglich auf eine äußerst seltene Möglichkeit hin, die bewusst offen gehalten wird – nämlich auf die Möglichkeit, dass sich in der angesprochenen Gruppe ein Diverser befindet, der dadurch extra adressiert wird und sich das auch wünscht. Das ist äußerst unwahrscheinlich. Hallo, Herr Habeck!

Auf die Gruppe B bezogen, wird dasselbe Sternchen zu einer unmerklichen Falschaussage über etwas Gegebenes – nämlich zu der Aussage, dass die Diversen bereits unter uns sind. Falls sie realiter doch nicht da sind, dann sollen schon mal Plätze für sie reserviert werden.

Wenn die Sternchenformel als Generalbezeichnung verwendet wird, dann werden wir damit alle ohne Ausnahme – ob wir wollen oder nicht – einer gigantischen Großgruppe zugeordnet, in der sich bereits eine nennenswerte Menge von Diversen befindet.

Das müssen wir in dem Kontext so verstehen. Denn wenn die Menge der Diversen in der Großgruppe, der wir neuerdings beigeordnet wurden, nicht nennenswert wäre, dann würde man sie auch nicht ausdrücklich hervorheben – oder?

So wird aus den in Wahrheit nur selten vorzufindenden Einzelfällen von echten Diversen ein Massenphänomen von immenser Bedeutung. Je mehr Sterne funkeln und flunkern, desto größer scheint ihre Bedeutung, desto heller strahlt ihr Licht.

 

Ich bin kein Künstler mehr

Auf Spotify war ich zunächst ein einfacher „Künstler“, neuerdings bin ich zur „Künstler*in“ befördert worden, ohne dass ich das von mir aus gewollt hätte oder mich inzwischen Zweifel an meiner geschlechtlichen Identität befallen hätten. Ich bin immer noch derselbe. Auch die Lieder haben sich nicht geändert.

Nun wissen alle, was sie von mir zu halten haben: Ich gehöre dazu – wenn auch nur als potentieller oder als symptomloser Diverser. Aber wer weiß: Vielleicht bin ich längst ein richtiger Diverser und habe es nur noch nicht gemerkt. Jedenfalls werde ich so zugeordnet.

Damit wird mir von den Fanatikern des Regenbogens genau das angetan, was sie selbst als besonders verwerflich und verabscheuenswert ansehen und was sie ihrerseits, wenn sie andere dabei erwischen, unerbittlich verfolgen und bestrafen würden: Ich werde in Hinblick auf meine geschlechtliche Identität falsch adressiert – sowohl im Einzelfall als auch über den Umweg meiner von mir nicht gewünschten Gruppenzugehörigkeit.

Damit wird eine Aussage über meine geschlechtliche Identität gemacht, die nicht zutrifft. Wo kann ich mich beklagen und Entschädigung verlangen?

 

Im richtigen Körper, aber in der falschen Gruppe

Mit mir kann man es ja machen. Meine Selbstbezeichnung wird nicht anerkannt und nicht respektiert. Im umgekehrten Fall muss man vorsichtig sein. Wenn man jemanden mit der falschen Geschlechtsbezeichnung anspricht und nicht das Pronomen wählt, das er – oder sie, oder es – sich gerade wünscht, dann gilt das als misgendern und kann als Straftat gewertet werden, die einen die Karriere kosten kann.

Es gilt nicht nur als Diskriminierung, sondern als Aggression. In Kanada wird eine falsche Anrede sogar als Menschenrechtsverletzung gewertet und kommt vor ein Tribunal wie in den schlimmen Zeiten des Kommunismus.

Die Sternenkrieger, die sich so viel auf ihre überlegene Moral einbilden, haben längst ihre Unschuld verloren, sie haben Leichen im Keller, die schon anfangen zu stinken. Sie sind keineswegs harmlos. Sie haben ein bisher nicht gekanntes Unrecht in die Welt gebracht. Man muss sie ernst nehmen und fürchten; sie wollen herrschen, sie wollen strafen, sie wollen vernichten.

 

Wie kommen wir da wieder raus? 

Wir sollten den Krieg der Sterne beenden und versuchen, einen neuen Frieden zu schließen und zu einer wahrhaftigen Sprache zurückfinden. Doch das ist nicht so leicht möglich. Wir sind gefangen in einem Knoten aus Gewohnheiten, Selbstrechtfertigungen und unsinnigen Verwaltungsvorschriften.

Wir kommen da nicht raus, ohne dass unsere Politiker ihr Gesicht und die Institutionen ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Wir kommen da nicht raus, ohne den Staatsfeminismus infrage zu stellen. Wer traut sich das zu? Wer kann sich das leisten? Es sind die Mächtigen in den etablierten Strukturen, die den Krieg der Sterne vorantreiben.

 

Wir haben alle ein bisschen mitgemacht

Wir sind nicht über Nacht in die missliche Lage geraten. Es gibt eine lange Vorgeschichte. Dabei haben wir es mit einer zunehmenden Verweiblichung zu tun. Über den Sprachfeminismus sind wir folgerichtig zum Gendern und zum Krieg der Sterne gekommen. Den Sprachfeminismus haben wir nicht nur stillschweigend hingenommen, den haben wir – jedenfalls mehrheitlich – gewollt.

Wir müssten uns also auch gegen uns selbst entscheiden – besser gesagt gegen gewisse Verhaltensweisen, die wir gedankenlos mitgemacht, durch Duldung unterstützt und manchmal sogar selbst zur Schau getragen haben. Wir sind zu Kumpanen geworden, zu Kombattanten, ohne dass wir es gemerkt haben.

Bei Alltagsvorschriften und beim täglichen Gebrauch der Umgangssprache kann man nicht abseitsstehen und die Szenerie von außen beobachten. Wir müssen alle mitmachen.

Wir müssten also eigene Fehler einräumen – und das ist bei großen Fehlern ein großes Problem. So sieht es auch bei den Corona-Maßnahmen aus, die uns ersticken werden, wenn wir so weitermachen. Auch da kommen wir nicht so leicht wieder aus der Nummer raus.

 

Ein Himmel voller Sterne, eine Welt voller Viren

In der Corona-Krise lässt sich dasselbe Foulspiel beobachten wie beim Gendern: Die Gruppenverhältnisse stimmen nicht.

Luftbuchungen werden als reale Werte gehandelt. Über Dinge, die man überhaupt nicht genau kennen kann, wird in einer Art gesprochen, als würde man sie doch genau kennen und könnte mit Bestimmtheit gültige Aussagen dazu machen. Karl Lauterbach hat jetzt zugegeben„Die Aussage, dass deutlich mehr Kinder mit Corona ins Krankenhaus kommen, hat sich innerhalb der letzten zwei Wochen nicht bestätigt.“

Was heißt hier „Aussage“? Es müsste „Vermutung“, „Ahnung“, vielleicht „Wunschvorstellung“ oder besser noch „Horrorvorstellung“ heißen. Aber nicht „Aussage“. Bei einer Aussage kann man davon ausgehen, dass sie überprüft worden ist, dass sie Golddeckung hat, und dass Lauterbach dazu steht. Eine Aussage muss er verantworten können. Das kann er nicht.

Wie sieht es bei Habeck und den „Wissenschaftler*innen“ aus, von denen er „besonders lernte“? Hat er etwa gelernt, dass sich mindestens einer von ihnen als divers versteht und Wert darauf legt, dass seine Orientierung bei der Gruppenbezeichnung, die für alle gilt, berücksichtigt wird? Oder hat er die Wissenschaftler einfach ungefragt überrumpelt und fahrlässig eine Aussage gemacht, die sich, wenn man sie überprüfen würde, auch nicht bestätigen ließe? So sieht es aus: Habeck hat die Wissenschaftler ebenso falsch bezeichnet, wie Spotify mich falsch bezeichnet hat.

So ergeht es auch den Gesunden, die leider positiv getestet wurden. So wie die „Wissenschaftler“ (wie ich sie weiterhin nenne) von Habeck zu einer Gruppe zusammengefasst werden, in der gemäß seiner Aussage mit bewusst gesetztem Sternchen auch echte Diverse vertreten sind, so geraten die Gesunden, die leider positiv getestet worden, ungewollt in eine Großgruppe, in der sich auch echte Infizierte befinden (wie viele, weiß man nicht), als hätte es den Aufruf gegeben: Infizierte und Nicht-Infizierte aller Länder, vereinigt euch! Schließt euch zusammen mit den nur potenziell und mit den symptomlos Infizierten.

 

In der großen Gruppe sind wir alle gleich

Die positiv Getesteten werden durch die Zuweisung in die neue Großgruppe ebenfalls als Infizierte gesehen, obwohl sie es nicht sind. So wie ich als Diverser gelte, obwohl ich es nicht bin. Innerhalb der Großgruppen entfallen alle Differenzierungen. Positiv Getestete, die an einem Infarkt sterben, kommen, schwuppdiwupp, in die Großgruppe der „Mit-oder-an-Corona-Gestorbenen“ und gelten dann pauschal als Corona-Tote.

Ich dachte immer, dass wir besonders aufmerksam sein sollen, wenn es um falsche Verallgemeinerungen geht, die mit einem Generalverdacht verbunden sind, der am besten gar nicht erst aufkommen sollte. Hier haben wir es mit falschen Verallgemeinerungen zu tun – und? Wer beklagt sie?

Wir werden getäuscht. Uns werden Größenordnungen vorgespiegelt, die es so nicht gibt, die sich auch nicht bestätigen würden, wenn man sie ernsthaft überprüfen würde.

Es ist offensichtlich, worum es geht: Es geht nicht darum, dass uns gültige Zahlen genannt werden, vielmehr sollen wir mit möglichst großen Zahlen beeindruckt werden, weil uns die schlimmste mögliche Gefahr in Sachen Corona und die größtmögliche Bedeutung in Sachen Gender vorgetäuscht werden soll.

 

Fußnote*

Hier gibt noch einmal eine Fußnote im alten Stil – einen Nachruf auf den kleinen Stern. In Fußnoten, so hatte Günther Anders einst augenzwinkernd gesagt, steht „sowieso das Wichtigste“. Doch die gute, alte Fußnote hat ausgedient. Das Sternchen ist zum Gendersternchen geworden. Es werden keine Fußnoten mehr gemacht, es wird ein Link gesetzt. Das ist praktisch. Es ist aber auch schade. In den Fußnoten konnte noch ein wenig geplaudert werden, da gab es ein Beiseite sprechen, da wurden die Hinweise anmoderiert. Da konnte der Autor noch eine persönliche Note einbringen. Doch das ist bei den austauschbaren Texten von heute sowieso nicht mehr gefragt.

 

Sexismus forever – nicht lachen

Nicht lachen. Es geht um Sex.

Zu Anfang ein Witz. Als Test. Wir beginnen mit der Grundform. Wie viele Ostfriesen braucht man, um eine Glühbirne einzudrehen? Antwort: fünf. Einer steigt auf den Tisch und hält die Birne hoch, die anderen vier heben den Tisch an und laufen im Kreis.

Nun weiter. Wie viele Rockmusiker braucht man? Antwort: Elf. Einer erledigt das, zehn stehen auf der Gästeliste. Wie viele Fitness-Trainer braucht man? Antwort: nur einen. Der ruft immer „… und rechts! Und rechts!“. Es muss allerdings noch einer die Birne reindrehen. Wie viele Beatles braucht man? Vier. John, Paul, George und Ringo. Wie viele Dadaisten braucht man? Antwort: ein Fisch. Wie viele Kriminalkommissare braucht man? „Ich bin es, der hier die Fragen stellt.“ Wie viele Feministen braucht man? Antwort: Das ist nicht lustig!

Über Feministen lacht man nicht. Warum nicht? Weil sie so schnell eingeschnappt und wandelnde Spaßbremsen sind? Das schon. Aber nicht nur das. Da ist noch etwas. Es geht bei ihnen stets um die dunkle Seite von Sex. Da ist immer diese Peinlichkeit im Spiel, dass im unangemessenem Kontext auf Geschlechtsteile hingewiesen wird.

 

Jetzt sagen wir alle ganz laut …

Das ist Nele Pollatschek auch aufgefallen: Sie würde, wie sie behauptet, gerne einen Artikel schreiben, ohne dabei mehrmals auf ihr Geschlecht zu verweisen, weil das niemanden etwas anginge. Aber heute wird eben dauernd darauf verwiesen. „Wer aus meinem ‚Schriftsteller‘ ein ‚Schriftstellerin‘ macht, kann auch gleich ‚Vagina‘!‘ rufen“, klagt sie. „Das hat den gleichen Informationswert, wäre aber komischer und aufrichtiger und mir deutlich lieber.“

Echt? Wäre ihr das lieber? Ich weiß nicht … ich halte mir einen gewissen Sinn für Komik zugute, schätze Aufrichtigkeit und würde auch gerne Nele Pollatschek einen kleinen Gefallen tun, doch ich möchte lieber nicht ständig „Vagina!“ rufen. Mir wäre das unangenehm.

An anderer Stelle heißt es: „Wenn es mich nicht gerade traurig macht, kann ich einen gewissen Humor darin entdecken, wie besessen Deutschland von Genitalien ist. Denn mit wenigen Ausnahmen geht es beim Gendern um Genitalien, nicht notwendigerweise um die, die wir sehen, aber um die, von denen wir denken, dass sie da sind.“

 

Bei Justizia ist die Augenbinde verrutscht

Es ist wirklich traurig. Komik kann sich nicht durchsetzen. Humor wird von Trauer überlagert. Wenn es um Genitalien geht, lacht man nicht – frau auch nicht, ha, ha –, und beim Gendern geht es tatsächlich, wie Nele Pollatschek richtig bemerkt, um Genitalien, um Genitalien und außerdem um Genitalien.

Selbst wenn auf „Gerechtigkeit“, um die es bei der Gendersprache angeblich geht, verwiesen wird, ist eine besondere Gerechtigkeit gemeint; eine, bei der Justizia ihre Augenbinde kurz beiseiteschiebt und – Pfui! – einen prüfenden Blick auf die Geschlechtsteile der Beteiligten wirft. Erst danach wird entschieden. Auch bei der Gendergerechtigkeit geht es um Genitalien.

 

Schweinkram, wohin man auch blickt

Zwischendurch noch ein Witz, der nicht besonders lustig ist: Ein Psychologe wendet den so genannten Rorschach-Test an, der auch als Tintenklecks-Test bekannt ist. Dabei werden einer Testperson speziell aufbereitete Tintenklecksmuster gezeigt und er soll sagen, was damit dargestellt sein könnte. Die Testperson erkennt überall Geschlechtsteile. Als der Psychologe das moniert, rechtfertigt sich die Testperson und sagt: „Warum zeigen Sie mir auch dauernd solchen Schweinkram?!“ Es ist nicht besonders witzig, wie gesagt. Solche Tests werden tatsächlich gemacht.

Bei dem Projekt Gendersprache ist es so: Da sind wir die Testpersonen. Doch im Unterschied zur Testperson im Witz haben wir nicht die Besessenheit, auf Teufel komm raus überall Geschlechtsteile zu erkennen. Das wird uns lediglich unterstellt. Besessen sind vielmehr diejenigen, die alle Klecksbilder so umgestaltet haben, dass man die Hinweise auf die Geschlechtsteile nicht mehr übersehen kann. Es wäre tatsächlich ehrlicher, wenn wir immer gleich direkt „Vagina“ oder „Penis“ dazwischenrufen würden. Deshalb hat Gendern immer etwas Aufdringliches, Schlüpfriges und – um mal ein asbach uraltes Wort zu verwenden – etwas Unanständiges.

Der Subtext eines Textes, in dem en passant eine Formulierung wie „Expertinnen und Experten“ vorkommt, lautet in etwa so: Da gerade von einem Personenkreis gesprochen wurde, der soeben die neuesten Corona-Zahlen ermittelt hat, möchte ich keinesfalls versäumen, bei der Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass einige aus dieser Gruppe ein weibliches Geschlechtsteil haben, andere wiederum ein männliches, und wir obendrein noch seltene Einzelfälle von Personen, die das nachträglich korrigieren möchten, berücksichtigen müssen. Das muss auf jeden Fall an möglichst prominenter Stelle erwähnt werden. Es ist kein Anlass denkbar, der so bedeutend sein könnte, dass ein Hinweis auf die Genitalien in den Hintergrund treten dürfte. Es ist wirklich nicht lustig.

 

Bilder, die man vor Augen hat und Bilder vor dem inneren Auge

Kann sich noch jemand an die siebziger Jahre erinnern und an die großflächige Werbung mit möglichst unbekleideten Frauen, die sich beispielsweise an der Seife Fa erfreuten? Solche Darstellungen sind inzwischen als sexistisch kritisiert und zurückgedrängt worden, doch die Forderungen, an alle möglichen Wörter weibliche Endungen anzuhängen, enthalten ebenfalls einen ständigen Hinweis auf das Geschlecht; es entsteht ein Sexismus im öffentlichen Raum der Grammatik. Kein Sexismus in Bildern, sondern in Buchstaben. Nicht auf Bildern, die wir vor Augen haben, sondern auf Bildern vor unserem inneren Auge. Wohin wir auch schauen – auch wenn wir die Augen schließen –, überall finden wir einen aggressiven Hinweis auf das Geschlecht der Frau. Wir erleben gerade eine Nonstop-Sex-Show der etwas anderen Art, in der auch die Welt des Lesens und Schreibens zum Rotlichtviertel geworden ist.

Das nervt inzwischen auch Nele Pollatschek, obwohl sie sich – wie wir längst ahnten – eigentlich als kämpferische Verfechterin der Gendersprache in die Brust werfen will und ganz genau „ … weiß, dass die allermeisten Argumente gegen das Gendern falsch sind.“

Nur eins nicht: „Im Grunde gibt es nur ein einzig wirklich gutes Argument gegen das Gendern: Es ist leider sexistisch. Ich sage leider, denn Menschen, die Gendern, sind grundsympathisch. Wer gendert, tut das in der Regel, um auf sprachliche und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Gendern ist eine sexistische Praxis, deren Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen.“

Ach so. Kein Wunder, dass es nicht klappt und man immer öfter den Stoßseufzer hört: Wenn das die Lösung sein soll, dann möchte ich lieber wieder das Problem haben. Nele Pollatschek scheint es auch irgendwie bemerkt zu haben. Irgendwie aber auch nicht. Bei manchen fällt der Groschen eben pfennigweise, wie man sagte, als wir noch mit harter D-Mark bezahlt haben.

Schon im Jahre 2009 hatte Arthur Brühlmeier zusammengefasst, was geschieht, wenn wir die Doppelnennungen, wie sie Feministinnen fordern, regelmäßig anwenden. Was passiert dann? „Damit wird der Sexismus nicht etwa – wie gewiss in guten Treuen beabsichtigt – aus der Sprache entfernt, sondern erst konsequent in diese eingeführt.“

 

Was will das Weib?

Gewiss, das hat Arthur Brühlmeier schön gesagt und hat eine freundliche, frauenaffine Formulierung gewählt. Ich vermute allerdings, dass die Absichten der Feministinnen weder „gut“ noch „treu“ waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass den vielen klugen Frauen der Widerspruch nicht schon selber aufgefallen ist. Sie wollen es nur nicht zugeben. Doch ich bin nur ein Mann, noch dazu ein alter, weißer. Ich vermute, dass Frauen schon etwas wollen, es aber nachher nicht gewesen sein wollen.

Sigmund Freud scheiterte bekanntlich an der Frage: Was will die Frau? (Bei ihm heißt es sogar „das Weib“) Das ist schwer zu sagen; denn vor allem will sie etwas nicht. Sie will nicht diejenige sein, die sagt, was sie will. Sie will nachher immer sagen können: Ich war es nicht, ich wollte es nicht, ich kann nichts dafür. Sie will unschuldig sein. Sie will in einer Position sein, aus der heraus sie etwas beklagen kann, auch wenn sie es ursprünglich selber eingefädelt hatte. Wer will denn so eine Gender-Sprache? Soll sich Nele Pollatschek doch bei den Sexisten beschweren, die ihr so grundsympathisch sind. Dann können sie das unter sich aushandeln.

 

Der letzte Schleier wird nicht gelüftet

Es geht immer nur um Sex, selbst wenn von „Gender“ die Rede ist, die Assoziationen werden direkt in die Unterwäsche gelenkt. Die Gender-Aktivistinnen und Aktivisten könnten sich genauso gut Leuchtstreifen auf ihre Kleidung appretieren – kleine Pfeile, die auf ihre Genitalien zeigen.

Als auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking der Begriff „Gender“ auf der Bühne der Welt in Szene gesetzt wurde, wussten die teilnehmenden Frauen auch nicht, was damit gemeint sein sollte. Sie hatten jedoch Vermutungen. Viele dachten, es wäre eine vornehme, rücksichtsvolle Umschreibung des irgendwie unanständigen und zwielichtigen Wortes „Sex“. Mehr nicht.

Das neue Zauberwort tauchte über 200-mal in den Papieren der Vorbereitungskonferenzen in New York auf, eine Definition dieses schillernden Begriffes wurde allerdings immer wieder vertagt. Schließlich einigte man sich darauf, dass man sich nicht einigen kann, und dass „Gender“ keine Definition brauche. Dann eben nicht. Die Besonderheit liegt in der Undeutlichkeit. Darin, dass Sex gemeint ist, aber gleichzeitig irgendwie auch nicht.

 

Schaum hier, Schaum da

So ist eine pseudo-schamhafte Verpixelung entstanden (so etwas kennen wir von Internet-Seiten, auf die wir versehentlich geraten sind). Bei Filmen, die verpixelt sind, geht es um Geschlechtsteile, die nicht gezeigt werden sollen. Man könnte diese Filme jedoch nicht um die kritischen Stellen kürzen, weil nach so einer Kürzung kein Inhalt mehr übrigbliebe. Also werden die Ansichten verwischt.

Es geht so: Zunächst wird absichtsvoll und gezielt auf die Geschlechtsteile hingewiesen, dann wird die Anschauung vertuscht, das Bild unscharf gemacht. Die besonderen Merkmale, die uns die beliebten sexuellen Reize bescheren, werden voldemortesiert. Lord Voldemort aus ‚Harry Potter‘ ist bekanntlich der Böse, über den wir sprechen, ohne seinen Namen zu nennen.

Auch bei Germany’s Next Topmodel richten sich die aufgeregten Blicke auf etwas, das gleich wieder undeutlich gemacht wird. Neuerdings gibt es den so genannten Wow-Walk, bei dem die Schönheiten lediglich mit Schaum bekleidet sind, der ihre intimen Körperteile verpixelt. Schaum hier, Schaum da. So wie die Nachwuchs-Models Schaum auf ihren Geschlechtsteilen haben, so haben die Verfechterinnen der Gender-Sprache Schaum vor dem Mund.

 

Gendern ist strukturell humorlos und vorwurfsvoll

Denn wenn man schon nichts Gutes über das Gendern sagen kann, dann wenigstens viel Schlechtes über seine Gegner. Nele Pollatschek hat reichlich Schaum vor dem Mund, wenn sie über die „piefigen Konservativen“ herzieht, die partout nicht gendern wollen. „Die lautstarken Argumente gegen das Gendern kommen meistens von den berüchtigten alten, weißen Männern, die sich die Erfahrung von marginalisierten Menschen nicht mal vorstellen können. Solche Argumente werden von den Verteidigern des Genderns schon deswegen nicht ernstgenommen, weil den Machern solcher Argumente die entscheidenden Erfahrungen des Marginalisiertwerdens fehlen.“

Offenbar stellt sie sich vor, dass andere Leute, die sie nicht näher kennt, sich grundsätzlich etwas nicht vorstellen können, das in ihren Augen von entscheidender Bedeutung ist. Ich wiederum stelle mir vor, dass ihr Vorstellungsvermögen recht begrenzt ist – und dass sich Nele Pollatschek darüber selbst nicht im Klaren ist. Dafür nimmt sie den Mund viel zu voll. Sie schäumt richtig.

Da fehlt jeglicher Humor. Da ist auch keiner in Sicht. Es ist in der Tat nicht lustig. Das ganze Gerede um das leidige Gendern, das gerade auf Hochtouren läuft, liegt jenseits von Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit. Man kann es nicht richtig ernst nehmen, kann sich aber auch nicht darüber lustig machen. Man kann einem Bekloppten nicht erklären, dass er bekloppt ist. Wenn man einem Humorlosen mit Humor begegnet, ist es, als würde man ihn in einer Fremdsprache ansprechen. Gendern ist strukturell humorlos. Kein Wunder: Es geht um Sex.

 

Sarah guckt schon so streng, dass einem das Lachen vergeht

Sarah Bosetti findet auch, dass Feminismus nervt: „Er macht mich wahnsinnig, der Feminismus, er quält mich. Er geht mir so sehr auf die Nerven, dass ich wünschte, ich hätte einen Sack, auf den er mir gehen könnte. All die politische Korrektheit, die Humorlosigkeit, die Sätze, die immer länger und länger werden, weil man überall ein ‚-innen‘ anhängen muss. Er ist so unpoetisch. So unsexy. So anstrengend.“

Ich stimme zu. Wie ist das mit dem viel diskutierten Gendern? Wie wirkt sich der Feminismus speziell auf die Sprache aus? Sie findet deutliche Worte: „Er ist hässlich und umständlich und verwandelt die Schönheit eines jeden Satzes in Scheiße.“ Bravo! Schön gesagt!

Zu früh gefreut. Nun folgt die dramatisch-rhetorische Wende: Sarah Bosetti bekennt sich überraschend zu der Notwendigkeit der eben noch heftig gescholtenen Scheiß-Sprache, weil Feminismus „Kampf“ ist und „Kämpfe immer Kacke“ sind. Feminismus ist „ein notwendiges Übel“. Er wird sich eines Tages durchsetzen. Weil er recht hat, und „alle wissen, dass es stimmt“. „Feminismus wird man nicht los, indem man ihn bekämpft“, erklärt sie.

 

Wann kriegen wir die Redefreiheit zurück?

Wie denn sonst? Wie wird man ihn wieder los, diesen quälenden Feminismus, unter dem so viele leiden? „Indem man Sexismus bekämpft“, erklärt Sarah Bosetti weiter. „Entzieht ihm seine Notwendigkeit.“ Wenn der Kampf ausgefochten ist, dann können wir uns endlich wieder mit anderen Dingen beschäftigen.

Wann wird das sein? In vier Monaten? In einem halben Jahr? Oder erst dann, wenn alle Welt gegen Sexismus geimpft ist? Mindestens zweimal.

Nein, niemals wird der glückliche Tag kommen, an dem die Korken knallen, wir uns in den Armen liegen und endlich wieder so reden, dass es nicht Scheiße ist, weil es diesen Tag, an dem der Sexismus durch sexistische Maßnahmen besiegt sein wird, gar nicht geben kann. Es ist hoffnungslos. Vielleicht guckt Sarah Bosetti deshalb so streng – und wirkt so humorlos.

 

Willkommen in der Stierkampf-Arena des Kabaretts

Das ist in ihrem Fall besonders schade. Bei ihr hätte ich mehr Humor erwartet. Warum gerade bei ihr? Weil ihr im Jahr 2020 der Kabarett-Preis „Salzburger Stier“ zugesprochen wurde. Leider konnte die Preisverleihung wegen Corona nicht so feierlich begangen werden, wie es sonst üblich ist. Sie fand im kleinen Kreis statt, Bodo Wartke spielte ein Ständchen. Ich war auch eingeladen und hatte sogar überlegt, ob ich zur Verleihung anreise (als noch nicht klar war, unter welchen Bedingungen sie stattfinden würde). Ich hätte ihr gerne gratuliert, auch wenn ich in Sachen Gender-Sprache ihre Meinung nur bis Minute 1:56 teile.

Darauf kommt es nicht an. Ich bin nicht kleinlich. Willkommen, Sarah, in der Stierkampf-Arena des Kabaretts. Es ist ein toller 3-Länder-Preis, der schon eine kleine Tradition hat – seit 1982 – und eine lange Liste von Preisträgern. Ich selber war der erste in der Reihe; es folgten (unvollständig): Gerhard Polt, Lisa Eckhart, Uta Köbernick, Thomas C. Breuer, Dieter Hildebrandt, Franz Hohler, Rainald Grebe, Andreas Rebers, Ganz schön feist, Emil Steinberger, Uwe Steimle, Horst Evers, Nessi Tausendschön, Tresenlesen, Urban Priol, Rüdiger Hoffmann, Geschwister Pfister, Georg Schramm, Frieder Nögge, Georg Ringsgwandl, Harald Schmidt, Hanns Dieter Hüsch …

 

Hüsch weiß, warum wir nicht lachen

Der gute Hüsch hat auch ein paar gut gemeinte Tipps zum Thema, die noch aus einer Zeit stammen, als es das Wort „Gender“ nicht gab und die Sprache noch frei war. Es sind nur Empfehlungen. Es wird niemandem ein Vorwurf gemacht, der sie nicht befolgen will. Alles ist freiwillig.
 

Also, ihr Lieben

Heute wollen wir wieder mal das Wort zum Montag üben.

Damit ihr keine intimen Probleme habt

Und damit auch alles schön klappt

Empfehle ich euch vor allen Dingen

Die folgenden Ratschläge mitzusingen:

 

Äpfel essen

Vorspiel verlängern

Nachspiel verkürzen

Größte Vorsicht bei Gewürzen …

 

Ich kürze an dieser Stelle ab – es zieht sich ziemlich in die Länge –, damit wir endlich zur Sache zu kommen. Nachdem er uns verschiedene Ratschläge erteilt und spaßeshalber ins Gegenteil verkehrt hat, nähern wir uns einer Zusammenfassung:

 

Dicke lieben besser als Dünne

Radfahrer kommen schneller als Sänger

Fliesenleger können öfter als Bäcker

Apotheker verzögern besser als Gärtner

Und Protestanten sind im Dunkeln

Besser als Katholiken im Freien.

 

Um sich aber von allen Rezepten

Endgültig zu befreien:

Auch mal eine Blume ins Schamhaar flechten

Und wenn Sie das alles auf einmal möchten

In den Vervielfältigungsapparat einen Knoten machen

Und beim Nachspiel nicht lachen, bitte nicht lachen …

 

Genau. Das ist die eindringliche Stelle, die mir in Erinnerung geblieben ist: nicht lachen! Nicht lachen! Weil es um Sex geht. Da lacht man nicht.

Aber stimmt das auch? Mit einem Kenner des französischen Chansons habe ich mich neulich just über dieses Thema unterhalten und wir waren uns schnell einig, dass – ganz im Gegenteil – ein befreiendes Lachen in so einer Situation sogar einen Höhepunkt der besonderen Art bilden kann. Wer beim Sex lachen kann, so meinten wir, kann die Schallmauer durchbrechen. Wahrscheinlich war es bei Hanns Dieter Hüsch auch so gemeint. Er sagt zwar, dass wir „nicht lachen“ sollen, versucht aber immer wieder, uns zum Lachen zu bringen.

Ach … ich merke gerade, dass ich ins Schwärmen komme. Ich werde alt. Ich blicke zurück auf eine Zeit, in der man noch mit Humor über Sex reden konnte – nicht mit Schaum vor dem Mund. Man konnte noch herzhaft lachen. Das sollte man wieder tun – und nicht länger auf ein freiwilliges Ende des Genderns warten.

 

 

Sexismus forever – nicht lachen

Text

Frauen der Welt

 

Ein Beitrag zum 8. März – Weltfrauentag

 

 

 

 

 

 

 

Woran denken wir, wenn wir an Frauen denken? Woran denken wir speziell am 8. März – am Weltfrauentag? Seit wann gibt es diesen Gedenktag überhaupt? Seit 1975. Die Zeit lässt sich genau bestimmen, der Ort nicht. Er heißt zwar „Weltfrauentag“, doch er wurde nicht überall auf der Welt gefeiert. Seit 2019 ist er ein Feiertag im Bundesland Berlin. Wie ist es dazu gekommen?

Der 8. März wurde 1975 von den Vereinten Nationen zum offiziellen „Weltfrauentag“ erklärt und seither in verschiedenen sozialistischen Ländern auf unterschiedliche Art begangen. Mehr als vierzig Jahre später konnte sich das Bundesland Berlin – als wäre es auch ein sozialistisches Land – anschließen, weil es einen arbeitsfreien Feiertag weniger im Kalender hatte als andere Bundesländer, und so wurde 2019 erstmals auch im Bundesland Berlin der „Internationale Frauentag“ proklamiert, selbst wenn es im Vergleich zu 1975 nicht mehr so viele Länder gab, die weiterhin bei der Gelegenheit mitfeiern wollten. Es war irgendwie aus der Mode gekommen. Nordkorea und Angola waren aber schon noch mit dabei.

Wofür steht der 8. März? Warum ausgerechnet dieser Termin? Angefangen hatte alles am 19. März 1911. Damals hatte es den ersten Frauentag gegeben, der insofern international war, als er in vier Ländern – in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und in der Schweiz – begangen wurde. International war er also schon, wenn auch in sehr bescheidenem Maße. Die Welt war es wirklich nicht. Er repräsentierte die „Frauen der Welt“ so wenig wie uns die ersten Temperaturaufzeichnungen (seit ca. 1880) in Österreich-Ungarn Auskunft geben können über die Durchschnittstemperatur der Welt.

Wofür engagierten sich die Frauen der Welt im Laufe der Jahre? Das ist nicht so leicht zu sagen. Es wird nicht deutlich, ob es überhaupt so etwas wie einen gemeinsamen Nenner gegeben hat, eine „Invariante der Richtung“, wie Ernst Bloch sagen würde, etwas „identisch Gemeintes“. Gab es da ein bedeutendes Anliegen, das von allen geteilt wurde?

Oder zeichnet sich die Geschichte des Frauentages vielmehr dadurch aus, dass es keine zusammenhängende Geschichte ist und nur im Laufe der Jahre unterschiedliche Feindbilder hochhielt, die jeweils einen vordergründigen Zusammenhalt stiften sollten. Es wird jedenfalls nicht deutlich, wofür die Frauen aus den unterschiedlichen Ländern zu den verschiedenen Zeiten waren, wogegen sie waren, ist dagegen leichter zu benennen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Gegen Demokratie

Der erste „internationale“ Frauentag fand, wie gesagt, am 19. März 1911 statt. Im Jahr zuvor war er auf Initiative von Clara Zetkin auf der 2. internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen beschlossen worden. Clara Zetkin träumte damals von einer deutschen Räterepublik nach sowjetischem Vorbild, in der sie eine führende Rolle spielen würde, und sie versuchte mit der Organisation von solchen Festtagen, Frauen um sich herum zu versammeln, die ihren Traum teilten. Es war also ein Kampftag für eine sehr spezielle Auswahl von Frauen; von Frauen, die – so wie sie – die Demokratie abschaffen wollten. Im Jahr 1933 starb Zetkin in der Nähe von Moskau. Michael Kaste berichtet: „Ein mindestens ebenso prominenter Demokratieverächter trug ihre Urne zur Beerdigung: Josef Wissarionowitsch Stalin.“

Angeregt worden war der erste Frauentag vom Aktionstag für das Frauenwahlrecht in den USA, der wiederum am 28. Februar begangen worden war. Damit tritt ein weiteres Anliegen in die Geschichte der Frauentage: women’s suffrage. Das Thema der Aufmärsche in Amerika war das Wahlrecht für Frauen ­– genauer gesagt: das Wahlrecht für weiße, privilegierte Frauen zu einer Zeit, als es ein freies, geheimes und allgemeines Wahlrecht noch nicht gab. Auch nicht für Männer. Erst recht nicht für Schwarze.

 

 

 

 

 

 

 

 

Gegen dies und das

Der Termin änderte sich immer wieder. Einmal fiel er auf den 5. Mai, den Geburtstag von Karl Marx, auch wenn der nicht gerade jemand ist, dessen Namen man mit freien Wahlen verbindet. Man kann ihm vieles nachsagen, aber nicht, dass er für demokratische Wahlen war. Auch den Frauen ging es nicht mehr um das Wahlrecht (das sie inzwischen hatten). Die Themen änderten sich von Jahr zu Jahr. Mal ging es gegen die Gewährung von Kriegskrediten, mal forderten die Frauen regelmäßige Schulspeisung, mal legale Abtreibung.

Auf der Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau wurde im Jahre 1921 der Termin für künftige Frauentage auf den 8. März festgelegt (nach dem alten russischen Kalender auf den 23. Februar), um damit an einen Streik der Textilarbeiterinnen in Sankt Petersburg zu erinnern, der als einer der Auslöser der Februarrevolution von 1917 gilt.  

In der Weimarer Republik konnte der Weltfrauentag erst im Jahre 1926 seine Wiederauferstehung feiern – etwas später also, dafür aber in doppelter Ausführung: in der kommunistischen Version mit dem 8.3. als Termin und in der sozialdemokratischen Version ohne festen Termin. Es wurde auch mal eine ganze Woche lang gefeiert.

Die Nazis verboten den Frauentag. Die Aktivistinnen tauchten ab, sie feierten den Tag im privaten Kreis und ließen am 8.3. demonstrativ rote Socken und andere rote Kleidungsstücke an ihrer Wäscheleine flattern. Vielleicht kommt daher der Ausdruck „rote Socke“ – wer weiß.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der internationale Frauentag in der SBZ (der sowjetischen Besatzungszone) zu einer Kampagne umgemünzt, mit der die Planwirtschaft vorangetrieben werden sollte: die dekorative Traktoristin mit Kopftuch und Blumenstrauß wurde zur Galionsfigur der Misswirtschaft.

In den 50er Jahren kam das Gerücht auf, dass der März-Termin nicht etwa an die Arbeiter in Russland erinnern sollte, sondern an die Niederschlagung eines Streiks von Textilarbeitern in New York – anderer Ort, dieselbe Branche. Nach anderen Quellen ging es um einen Brand.

Und heute? Neuerdings soll es um die Fortschritte bei der Gleichstellung gehen, für eine Frauenquote in Dax-Vorständen, um ein härteres Vorgehen gegen sexualisierte Gewalt und um bessere Gagen für die Stars in Hollywood.

Es ergibt einfach kein einheitliches Bild. Man weiß nicht so recht, worum es überhaupt geht. Michel Houellebecq weiß es auch nicht: „Die Frauen bilden keinen einheitlichen Block“, schreibt er. „Sie wollen nicht alle dasselbe. Der Feminismus hat kein überzeugendes Narrativ, keinen geschlossenen Diskurs hervorgebracht.“

 

 

 

 

 

 

 

 

Gegen Machos und Antifeministen

Auch Alice Schwarzer kann mit dieser „sozialistischen Erfindung“ nichts anfangen. Die Frauenbewegung, mit der sie sich verbunden fühlt, sei vielmehr, wie sie erklärt, Anfang der 1970er Jahre aus „Protest gegen die machohafte Linke“ entstanden. Es sei eine Linke gewesen, „die zwar noch die letzten bolivianischen Bauern befreien wollte, die eigenen Frauen und Freundinnen aber weiter Kaffee kochen, Flugblätter tippen und Kinder versorgen ließ“. Deshalb ist in ihren Augen die „Übernahme des sozialistischen Muttertags“ der „reinste Hohn“. Das sei noch, wie sie betont, „gelinde gesagt“. Jedenfalls sollte der „gönnerhafte 8. März“ ihrer Meinung nach am besten „einfach abgeschafft“ werden.

Auch Margarete Stokowski sieht anlässlich des Frauentages im Jahre 2016, als er noch kein offizieller Gedenktag war, gewisse Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen und vermutet, dass sich Männer – insbesondere welche, die dem Feminismus kritisch gegenüberstehen – brennend dafür interessieren, sie schreibt: „Das Geilste, was Antifeministen sich in ihren feuchtesten Träumen ausdenken können, sind Frauen, die sich gegenseitig bekämpfen und beschimpfen … Am besten: zum Frauentag. Woohooo“.

Dazu möchte ich anmerken, dass „träumen“ und sich „etwas ausdenken“ unterschiedliche Vorgänge sind. Außerdem frage ich mich, ob sie den Mann, dem sie die „feuchtesten“ Träume andichtet, womöglich mit einem Bettnässer verwechselt. Wie auch immer: Wir wissen nun aus berufenen Mündern, dass sich Frauen untereinander nicht einig sind, wissen jedoch immer noch nicht, worum es ihnen eigentlich geht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Gegen Schwarze

Wir ahnen es aber. Sehen wir uns die Kräfte an, von denen die Frauen bewegt wurden. Was trieb sie um? Da erkennen wir einerseits die kommunistischen Ideale im Zusammenhang mit der russischen Revolution und andererseits eine außer Kontrolle geratene Terror-Mentalität und die Freude an der Zerstörung, wie wir sie bei den Suffragetten in England finden (dazu gleich mehr). Die stärkste Triebkraft war vermutlich die Angst der Frauen in Amerika.

Was war da los? Während des Bürgerkrieges hatte sich erstmals der berüchtigte Ku-Klux-Klan gebildet, eine Terrorgruppe, die Schwarze lynchte und mit dem Ende des Civil Wars wieder aufgelöst wurde. Der Monumentalfilm Birth of a Nation von David Wark Griffith aus dem Jahre 1915 brachte genau das auf die Leinwand, was der Titel versprach: „Die Geburt einer Nation“. Er machte die Identitätsfindung der Nation zum Thema, die Herausbildung eines Selbstbewusstseins des wiedervereinten Amerikas, das nun versuchte, die Kriegserlebnisse aufzuarbeiten und das Zusammenleben mit den befreiten Sklaven neu auszuhandeln.

Die ungeheuer aufwändigen Filmszenen, die das Treiben von schwarzen Milizen und deren Grausamkeiten zeigen, sind von großem künstlerischem Wert und hochgradig umstritten wegen der schockierenden Gewaltszenen und Vergewaltigungen. Der Film gilt als das vielleicht bedeutendste und einflussreichste Werk der amerikanischen Filmgeschichte und wird nach heutigen Maßstäben als „rassistisch“ eingestuft (daher wurde 2016 eine neue Version – The Birth of a Nation – Aufstand zur Freiheit – gedreht, die nicht rassistisch sein will). Dem Original-Film wird vorgeworfen, dass er eine unangebrachte Überlegenheit des weißen Mannes behauptet und wesentlich dazu beigetragen hat, dass es zu einer Neugründung des Ku-Klux-Klans gekommen ist.

Wenig bekannt ist, dass sich gleichzeitig eine starke Frauenorganisation gebildet hat, der WKKKWomen of the Ku-Klux-Klan, oder Women’s Ku-Klux-Klan. Dazu gesellten sich Geheimorganisationen mit so schönen Namen wie Ladies of the Invisible Eye und Unterstützergruppen, die sich auf Öffentlichkeitsarbeit konzentrierten, Artikel verfassten, Spendenaktionen und Aufmärsche organisierten.

Es gab unübersichtlich viele, zum Teil sehr mitgliederstarke Organisationen: die Dixie Protestant Women’s League, die Grand League of Protestant Women, die Kentucky Equal Rights Association, die geheimnisvollen Ladies of the Invisible Empire, die White American Protestants, die exquisiten Queens of the Golden Mask and Hooded Ladies of the Mystic Den und die berühmte Woman’s Christian Temperance Union, die als die größte Frauenorganisation des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelten kann.

So also sah die Frauenbewegung in Amerika aus: Es waren weiße Frauen aus der besseren Gesellschaft, die sich von den „Negern“, wie man sie damals nannte, bedroht fühlten und im Ku-Klux-Klan ihre Schutzstaffel sahen, für die sie die bekannten spitzen Mützen nähten und Geld sammelten. Die Männer machten die Dreckarbeit, die Frauen die Propaganda.

 

 

 

 

 

 

 

Gegen Ausländer und gegen Alkohol

Sie verknüpften ihre Forderung nach Frauenrechten mit dem Kampf gegen Schwarze, Juden und Katholiken sowie gegen weitere Zuwanderer, speziell aus Polen oder Irland, denen sie nicht nur Lüsternheit, sondern auch Alkoholmissbrauch unterstellten. Gegen Alkohol waren sie ganz besonders. Die zwei Meter große Carrie Nation von der Temperance Union war mit dem Absingen von frommen Liedern nicht mehr länger zufrieden und griff zur Axt. In einer Vision hatte ihr Gott persönlich die „Lizenz zum Hacken“ erteilt, daraufhin stürmte sie in einen Saloon und schlug ihn kurz und klein. Nicht nur einen. Insgesamt zertrümmerte sie über hundert Saloons, sie randalierte sogar im Senat und wurde dreißigmal verhaftet. Zwischendurch ging sie auf Tournee und wurde auf ihren Vortragsreisen wie ein Popstar gefeiert.

Doch hauptsächlich ging es den Frauen damals darum, „das Neger-Wahlrecht zu verhindern“ und „die weiße Vorherrschaft durch das Wahlrecht der Frauen zu stärken“. So sah es Carrie Chapman Catt, Präsidentin der National American Suffrage Association und Gründerin der League of Women Voters. „Ich würde mir meinen rechten Arm abschneiden“, verkündete sie, „bevor ich jemals dafür arbeiten oder fordern würde, dass der Neger und nicht die Frau das Wahlrecht bekäme“. Dieses Zitat ragt besonders hervor, weil die Vorstellung, einen Arm zu opfern, gerne genutzt wird, um die Opferbereitschaft von Eltern zu beschreiben, die zugunsten ihres Kindes auf einen Arm verzichten würden. Hier spricht jedoch keine hingebungsvolle Mutter, sondern eine KKK-Unterstützerin, die auf einen Arm verzichten würde, um ihren Rassismus auszuleben.

 

 

 

 

 

 

 

Gegen Kunst und Kultur

Der Beitrag der berühmt-berüchtigten Suffragetten aus England zur Geschichte des Frauentages bestand hauptsächlich aus Selbstdarstellungen und Terror, oder wie es auf Wikipedia heißt, wo es eher „gelinde gesagt“ und schmeichelhaft formuliert wird: in der Entwicklung von „neuen Formen des Protests“ und im „passivem Widerstand“, ohne dass die Kämpferinnen aus der upper class wussten, was sie eigentlich wollten.

Zunächst protestierten sie gegen verordnete Untersuchungen zum Gesundheitszustand von Prostituierten und machten auf sich aufmerksam, indem sie demonstrativ in der Öffentlichkeit rauchten: Blauer Dunst und blaue Strümpfe waren ihre besonderen Kennzeichen, mit denen sie sich in Szene setzten. Erst später entdeckten sie den Kampf für das Wahlrecht und radikalisierten sich zunehmend (siehe dazu auch das Schwarzbuch Feminismus).

Sie prügelten sich mit Regenschirmen, setzten die Feuerwehr durch Fehlalarm außer Gefecht, kappten Telefonverbindungen und verübten Brand- und Bombenanschläge: Allein im Jahr 1913 wurden acht Kirchen gänzlich und neun teilweise niedergebrannt, außerdem 23 Schulen, Bahnhöfe und andere Gebäude. Alles für den guten Zweck der Frauenrechte. Mary Richardson ging mit einem Schlachterbeil auf das Gemälde Venus vor dem Spiegel von Diego Velázquez los und rechtfertigte ihre Tat damit, dass sie es nicht leiden könne, wie Männer das Bild anstarrten: „I didn’t like the way men visitors gaped at it all day long.“

Es war nur eins von zehn Attentaten auf Kunstwerke mit einem geschätzten Schaden von acht Millionen Mark. Emily Davidson warf sich in einer spektakulären Aktion bei einem Derby vor das Rennpferd des Königs und starb als Märtyrerin, nachdem vorangegangene Selbstmordversuche erfolglos geblieben waren.

 

 

 

 

 

 

 

 

Gegen ein friedliches Miteinander

Wir können uns getrost die Frage stellen, ob das Wahlrecht für Frauen, wie wir es heute kennen, wegen der spektakulären Grenzüberschreitungen der Suffragetten eingeführt wurde oder trotz der Mätzchen dieser Radau-Schwestern, die, wie Angela Merkel vielleicht sagen würde, „nicht hilfreich“ waren? Herbert Purdy, der sich ausführlich mit den Zeitumständen befasst hat, gibt in seinem Buch „Their Angry Creed. The shocking history of feminism, and how it is destroying our way of life“ die Antwort: trotz! Sie haben der Sache eher geschadet als genutzt.

Ein beliebtes Sprichwort besagt, dass man die Eier zerschlagen müsse, wenn man ein Omelett haben will. Es gibt jedoch Leute, die Eier zerschlagen wollen, ohne dass sie überhaupt Appetit auf ein Omelett hätten. Die Suffragetten waren so, sie waren nicht nur gewaltbereit, auch sie waren rassistisch. In der von Emmeline Pankhurst gegründeten Frauenpartei Women’s Party musste zum Wohle der Frauen die „Rassenreinheit“, die von ihr ausdrücklich gefordert wurde, strikt eingehalten werden. Das PM-Magazin erkennt in ihrem Parteiprogramm eine „Mischung aus Feminismus und Faschismus“ – was nicht schwer zu erkennen ist.

Wir sprechen gerne von einem „Narrativ“ oder einer „großen Erzählung“, wenn wir eine politische Strömung meinen, eine Weltanschauung oder auch nur ein Vorurteil. Wenn wir die Geschichte des Weltfrauentages ebenfalls als Erzählung ansehen wollen, dann sehen wir einen Schundroman mit einigen dunklen Kapiteln.

Gerade in Zeiten wie diesen, in denen wir uns über den Erhalt der Demokratie Sorgen machen, uns für den Kampf-gegen-Rechts engagieren und mit hochgefahrener Sensibilität nach den Anfängen von rassistischem und faschistischem Denken Ausschau halten, gibt uns der heutige Tag einiges zu bedenken. Zum Glück geht der Tag wieder vorbei, und zum Glück gibt es noch andere Frauen als diese Art von Weltfrauen, die ich oben erwähnt habe.

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt sie wirklich: Frauen, an die wir gerne denken und von denen wir träumen. Am 8. März gibt es ein ganz spezielles Gedenken – eine Femmage – an Hedwig Dohm, „eine der größten Heldinnen und Freiheitskämpferinnen der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung“, wie es vom Veranstalter heißt. Mit einem Zitat von ihr will ich meinen kleinen Rückblick abschließen.

Eine Trigger-Warnung vorweg. Das klingt überhaupt nicht kämpferisch, nicht radikal, gar nicht feindselig und auch gar nicht so, als müssten sich Frauen und Männer auf ewig unversöhnlich gegenüberstehen. Es klingt, kurz gesagt, gar nicht feministisch, sondern eher nach …wie soll man sagen? Es klingt … Es klingt nach einer Frau, mit der man sich einigen kann – sie schreibt:

„Ohne Sorge seid – ihr eifrigen Freunde der Hausfrau. Nicht alle Frauen werden politisch sich betätigen, denn verschieden von einander schuf Gott die Menschen – Männer wie Frauen.

Treffliche, kluge Frauen gibt es, deren ganzer Lebensinhalt Mann, Kind und Haushalt ist. Gott segne sie!

Und treffliche, kluge Frauen gibt es, die allen hauswirtschaftlichen Interessen abhold, in künstlerischen, wissenschaftlichen oder irgend welchen anderen geistigen Betätigungen ihres Wesens Ausdruck suchen und finden, unbeschadet ihrer Liebe für Mann und Kind. Gott segne auch sie!“

 

 

 

Luther und der Teufel, die Beatles und Jesus …

 

… die singende Nonne und die gerechte Sprache

 

Die Lieder beim evangelischen Kirchentag

 

„Ein neues Lied, ein besseres Lied, komm Freunde, will ich euch singen …“ Das war Heinrich Heine. Damals. Beim diesjährigen evangelischen Kirchentag hieß es: Ein neues Lied, ein gerechtes Lied, kommt Freunde, wollen wir singen!

 

Zwei Lieder in gerechter Sprache wurden gesungen – im Rahmen der Geschlechterdebatte „Für eine sanfte Revolution der Sprache“. So war es jedenfalls angekündigt. Ich war gespannt. Und enttäuscht. Es waren überhaupt keine Lieder in „gerechter Sprache“. Die wurden nur fälschlicherweise so genannt.

 

Die Kirche und das populäre Lied

 

Erinnert sich jemand an die Beatles? Klar. Ich sowieso. In dem Film ‚Eight Days A Week’ über die Zeit, als sie auf den großen Bühnen standen, wird der Skandal dokumentiert, der ausgelöst wurde, als John Lennon gesagt hatte, die Beatles seien populärer als Jesus. Da traten sogleich radikale Christen auf den Plan. Beatles-LPs wurden verbrannt. Ihre öffentlichen Auftritte wurden zum Risiko. Da war was los.

 

Erinnert sich noch jemand an die singende Nonne Sœur Sourire, „Schwester des Lächelns“? Womöglich hat noch jemand ihr Lied ‚Dominique’ im Ohr, mit dem sie einst die Hitparaden stürmte. Es hieß damals, die singende Nonne sei populärer als Elvis.

 

Die Millioneneinnahmen gingen direkt an das Kloster und Jeanine Deckers (so ihr bürgerlicher Name) ließ sich das – gutgläubig wie sie war – nicht quittieren. Das Finanzamt bestand auf Steuern, das Kloster hüllte sich in kaltes Schweigen. Sie verließ das Kloster. Hochverschuldet und tablettensüchtig versuchte sie vergeblich, an ihren Erfolg als Sängerin anzuknüpfen, unter anderem mit einem Loblied auf die Pille. Schließlich beging sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Selbstmord.

 

Warum erzähle ich das? Es sind Beispiele für eine Öffnung der Kirche. Oder eben dafür, dass sie sich nicht geöffnet hat. Es sah in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts tatsächlich so aus, als wollte sich die Kirche öffnen – öffnen für die unruhige Jugend, öffnen für neue Lieder, öffnen für aktuelle Fragen. Und so gab es den so genannten progressiven Jugendgottesdienst.

 

Die rastlose Jugend stellt Fragen und singt Lieder

 

Das sah dann so aus: Da stand ich mit schlecht gestimmter Gitarre in der Kirche – und wir sangen gemeinsam: „Wir zieh-he-hen auf der-er großen Straße unsres Lebens rastlos hin. Suchen auf der-er großen Straße nur nach Vorteil und Gewinn.“ Soweit die Strophe. Dann sollten Fragen aufgeworfen werden, die speziell auf die Jugend zugeschnitten waren:

 

„Vater im Himmel, so unbe-he-greiflich, wer sagt uns, dass es ihn wirklich gibt? Ob unser Sinnen und Trachten vergeblich (wenn ich das richtig in Erinnerung habe) oder ob er uns wirklich liebt?“ Das waren die Fragen. Wir nannten es nicht „gerechte Sprache“. Es ging auch nicht um eine „Revolution“. Wir sangen das Lied am Reformationstag. So richtig begeistert war ich nicht.

 

Was sagte John Lennon dazu? Seine blasphemische Bemerkung hatte schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, als sie anlässlich der Beatles-Tour in den USA wiederentdeckt und zum Skandal hochgejazzt wurde. Er hatte sich einst in einem Jugendmagazin über die Lieder, die bei solchen progressiven Jugendgottesdiensten gesungen wurden, geäußert. Er mochte sie nicht. Er fand sie zweitklassig und langweilig.

 

Die genauen Formulierungen kenne ich nicht; John Lennon mochte es natürlich, heftig auf die Pauke zu hauen (eigentlich war Ringo der Schlagzeuger), er war nicht gerade zimperlich. Zum Beispiel hat er behauptet, der Erfolg der Beatles beruhe darauf, dass sie die ersten wären, die in der Sprache der Arbeiterklasse singen.

 

Da ist was dran. Was er meinte, war in etwa folgendes: im Jugendgottesdienst werden Lieder gesungen, die Jugendliche hören wollen sollen. Die Beatles sind besser, sie machen es richtig. Sie singen Lieder, die Jugendliche wirklich hören wollen. Kurz zusammengefasst: die Beatles sind populärer als Jesus.

 

Der größte Schatz der evangelischen Kirche

 

Die evangelische Kirche hatte einst mit ihrer Musik einen echten Joker – einen Schatz von unermesslichem Wert. Man kann sagen, was man will: Paul Gerhardt ist ein Liedermacher ersten Ranges. Emil Cioran hat sowieso immer nur gesagt hat, was er wollte, auch wenn es alle Grenzen sprengte, er sagte: „Wenn es jemand gibt, der Bach alles verdankt, dann ist es gewiß Gott.“ Na ja. Aber man kann schon verstehen, wie es gemeint ist.

 

Und heute? Heute singen sie Lieder in gerechter Sprache. Doch das sagen sie nur so. Es stimmt nicht einmal. Es ist in Wirklichkeit die gute, alte Sprache, die wir schon kennen. Nur schlecht gemacht. Die besonderen Merkmale der gerechten Sprache (nämlich die Varianten der Innen-Form und der Doppelnennung) kommen in den Liedern in gerechter Sprache gar nicht vor.

 

Das geht auch nicht. Die geschlechtergerechte Sprache ist ein vorsätzlicher Angriff auf die Schönheit und Eleganz der Sprache. Da stottert der Motor. Der Rhythmus wird holperig. In gerechter Sprache kann man nicht singen. Nicht richtig reimen. Robert Gernhardts berühmter Zweizeiler:

 

„Jesus sprach zu den Apachen:

Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.“

 

müsste in gerechter Sprache lauten:

 

„Jesus sprach zu den Apachinnen und Apachen

Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.“

 

Das klingt nicht. Es wurde dann auch nicht wie angekündigt ein Lied in gerechter Sprache gesungen, sondern – wie aus dem Effeff – ein Lied in feministischer Fälschung. Statt:

 

„Lobe den Herren,
den mächtigen König der Ehren.“

 

heißt es nun:

 

„Lobe die Kraft,

die uns Gott für das Leben gegeben.“

 

Wo ist da die gerechte Sprache? Es ist einfach nur ein anderer Text. Ein anderer Inhalt. Einmal wird der Schöpfer gelobt. Einmal die Kraft der Geschöpfe. Woher haben sie denn die Kraft? Vielleicht von ihrem Schöpfer? Die „Kraft, die uns Gott für das Leben gegeben“ ist nur ein Teil der Schöpfung.

 

Es war nicht alles schlecht früher … doch: es war alles schlecht

 

Es ist eine schlechte Parodie auf ein beliebtes Lied. Die Aussage wird verkleinert. Klar, der Text ist alt. Sechzehnhundert irgendwann. Doch was passiert, wenn man sagt, dass der neue Text nicht etwa „neu“, sondern „gerecht“ ist? Dann sagt man, dass der alte es nicht war. Ein altmodischer Text wird nicht etwa durch einen neumodischen ersetzt. Vielmehr wird ein ungerechter Text durch einen gerechten ersetzt.

 

Prof. Dr. Martin Leutzsch, den wir für die Dauer der Diskussion mit „Martin“ anreden konnten, bekannte sich ausdrücklich dazu, dass die Verfechter der gerechten Sprache auf eine „ungerechte“ Sprache zurückblicken. Noch einmal: bis zur Einführung der gerechten Sprache, war die Sprache, wie sie allgemein im Gottesdienst verwendet wurde, ungerecht. Noch einmal: Die Sprache war ungerecht. Jahrhunderte lang war sie ungerecht. Jahrhunderte lang hat es niemand bemerkt. Was für ein Versagen!? Was für eine Abwertung der Tradition?!

 

Und das nur, um denen gerecht zu werden, die eine Allergie haben gegen den Begriff „Herren“ und nicht mehr wissen, was damit gemeint ist. (Hinweis: Es ist nicht der „Herr“ Pastor).

 

Sie sind auf die Hündin gekommen

 

Die gerechte Sprache richtet Schaden an und zerstört Vertrauen. Sie stellt allen, die ein Lied wie ‚Lobet den Herren’ früher gerne gesungen haben, im Nachhinein ein schlechtes Zeugnis aus. Die gerechte Sprache ist ein Eigentor mit Fallrückzieher, bei dem sich der Spieler schwer verletzt hat. Ich fand übrigens immer, dass ‚Lobet den Herren’ unter den ansonsten eher drögen Kirchenliedern noch relativ flott war; ursprünglich war es tatsächlich als Straßenmusik gedacht, es war ein lagerfeuertauglicher Hit, der in die Kirche Einzug hielt und da populär wurde.

 

Wenn die selbst ernannten Gerechten von heute das Lied nicht mehr mögen, weil sie verlernt haben, was mit dem „Herren“ gemeint war, dann sollen sie es halt lassen. Dann sollen sie neue Lieder machen. Die müssen auch nicht als „Lieder in gerechter Sprache“ bezeichnet werden. Besonders dann nicht, wenn es nicht zutrifft. Dann sollen sie sehen, ob jemand diese Lieder mag und freiwillig singen will.

 

Wollt ihr nicht mal was singen, was ihr wirklich singen wollt?

 

Natürlich gibt es immer wieder neue Lieder, die eine Gemeinde gerne singen würde. Die kommen hinzu und bereichern das Repertoire. Zum Beispiel Lieder von den Beatles. ‚My Sweet Lord’ … Ah, Halt, Stopp, da kommt „Hare Krishna“ vor. Das ist nicht christlich, nicht jüdisch, nicht islamisch. Das geht nicht. Auch ‚Imagine’ sollte ins Gesangbuch aufgenommen werden, aber Yoko Ono erteilte keine Zustimmung, dafür die Zeile „imagine no religion“ zu streichen. Immerhin: Man kann auch mal was Gutes über Yoko Ono sagen.

 

Sebastian Krämer hatte auf einer Großveranstaltung im Rahmen des Kirchentages ein Lied angestimmt, das einen Reim auf „Maracuja“ präsentiert. Richtig. Das Publikum hat es spontan aufgegriffen und mitgesungen: „Halleluja, Halleluja …“ Sebastian Krämer, der als derzeit beste Liedermacher angekündigt wurde, ließ sie aber nicht. Och, schade … Er brach das Stück ab und erklärte, dass weder seine Witz-Version noch das Original von Leonard Cohen christliche Lieder sind. Dann spielte er ein Lied über den Teufel.

 

Die freundlichen Teufel

 

Den Teufel will ich jetzt auch aus dem Sack lassen. Einen Teufelspack, die Gruppe Duivelspack. Die haben ein Lied drauf, das nicht etwa ein Lied in gerechter Sprache ist, sondern ein Lied über gerechte Sprache. Es fetzt. Wenn das bei Kundgebungen gespielt wird, tanzen die Leute auf der Straße. Anschließend darf geklatscht werden. Hier würde vielleicht sogar John Lennon applaudieren. Es ist Musik, die das Publikum hören will. Es sind Songs, die gefallen.

 

Duivelspack ist eine erfolgreiche Fun-Folk-Gruppe. Ich habe selber auch ein paar Lieder gemacht. Ich bin so einer. Ich kenne mich da ein wenig aus. Hier haben wir den seltenen Fall von einem Lied, das ich selber gerne geschrieben hätte. Ich finde es toll.

 

Natürlich wird da mit dem Holzhammer gereimt. So muss das auch sein. So kommt eine lockere Mischung aus Tradition (Minnesang) und Moderne (geschlechtergerechte Sprache) zustande. Der ironische Umgang mit dem Alten und Neuen, schafft einen freundlichen Ton. Sie treten nicht als miesepeterige Lehrmeister auf, sondern als Narren, die über sich selbst lachen können.

 

So geht es los:

 

„Wir beginnen … -innen … -innen …

euch zu beminnen … -innen … -innen …

um zu gewinnen … -innen … -innen:

die Schönheit die von innen kommt.

 

Hallo Leute und Leutinnen,

liebe Fans, liebe Finnen.

Wir Männer wollen minnen

und ein Weiberherz gewinnen,

aber wenn, dann

ohne zu gendern.“

 

Na, endlich. Hier hat das Wort „gendern“ einen großen Auftritt vor historischer Kulisse. Das geht in die Ohren, das bleibt in den Köpfen, das spricht die Herzen an. Ich bin begeistert. Weiter geht es:

 

„Wie soll das miteinander weitergehen,

wenn wir die Sprache so brutal verdrehn?

Das ist politisch ja vielleicht korrekt

Doch ist es das, was frau bezweckt?“

 

Refrain:

„Diese Schönheit, die von innen kommt

ist für die schöne Sprache ein Affront,

liebe Freundinnen, Feindinnen, Heldinnen, Göttinnen

wir gewinnen nie:

eure Herzen mit nem Binnen-I.“

 

So ist es. Diese Gruppe hätten sie für den Kirchentag einladen sollen. Das wäre ein guter Beitrag gewesen für die Debatte um eine geschlechter- oder gendergerechte Sprache.

 

Wenn es weiter im Text heißt „Was die Beginen schon begannen …“, könnte man bei einem Publikum beim Kirchentag womöglich ein Vorwissen voraussetzen: Beginen sind christliche Gemeinschaften, die im 12. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich und anderswo aktiv waren. Die hatten es noch richtig gut; denn:

 

„ … denen drohte

nie die Frauenquote.“

 

Weiter geht es mit dem Teufelspack, die, wie wir sehen, durchaus bereitwillig sind, sich für Neuerungen zu öffnen.

 

„Wir übernehmen ja auch gern

den kleinen Gender-Stern,

sogar als Musik-X

kennen wir nix,

wir probiern es mal,

ab jetzt geschlechtsneutral.

 

Es kommt uns aber oft so vor,

als wäre das ein Eigentor,

weil Gender-Wahn mit aller Kraft

nur neue Unterschiede schafft.“

 

Richtig. Geschlechtergerechte Sprache treibt einen Keil zwischen die Geschlechter. Sie trennt. Sie schafft schlechte Laune und eignet sich speziell – und vermutlich ausschließlich – für selbstgerechte Besserwisser, die gerne andere ins Unrecht setzen und keine Gelegenheit auslassen, selbst an entlegenen Stellen nach unbedeutenden Ungerechtigkeiten zu suchen, auch wenn da schon Gras drüber gewachsen ist.

 

John Lennon hätte vermutlich gesagt: Der Teufel ist populärer als Luther.

 

Mit gespaltener Zunge

 

Winnetou

 

An einem sonnigen Tag ritt Old Shatterhand auf seinem treuen Pferd Hatatitla über die Prärie und traf an verabredeter Stelle Winnetou, der ihm sein Leid klagte. „Mein weißer Bruder“, sagte sein rothäutiger Freund mit belegter Stimme, „ich muss etwas gestehen: Ich bin nicht länger der Häuptling der Apachen.“

 

„Uff“, entgegnete Old Shatterhand, der die Sprechweise von den Indianern übernommen hatte, um sich ein wenig den Sitten und Gebräuchen anzupassen. „Was ist passiert? Haben die Komantschen den edlen Stamm der Apachen besiegt?“

 

Winnetou winkte ab: „Nein, das nicht. Doch ich darf mich nicht länger Häuptling der Apachen nennen.“

 

„Wie denn sonst?“, wollte Old Shatterhand wissen.

 

Winnetou blickte zu Boden, so sehr schämte er sich vor seinem weißen Bruder. „Häuptling der Apachinnen und Apachen“.

 

„Verstehe …“, sagte Old Shatterhand. Aber das sagte er nur so. Er tat gerne so, als würde er nicht nur alles wissen, sondern auch noch alles besser wissen, „die rote Frau spricht mit gespaltener Zunge.“

 

„Nicht nur das“, entgegnete Winnetou, „sie spalten alles. Die Zungen sind gespalten. Die Herzen sind gebrochen. Die Zelte sind zerrissen. Wir haben jetzt sogar getrennte Pfähle, an die wir – hier – die Stuten und – da – Hengste anbinden.“ Winnetou untermalte seine Rede mit kräftigen Handbewegungen. „Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder zusammenfinden, auch die Friedenspfeife ist zerbrochen.“

 

„Ich dachte immer“, überlegte Old Shatterhand, „die roten Frauen wären sowieso Nichtraucher …“

 

„Nichtraucherinnen“, verbesserte Winnetou.

 

Da erkannte Old Shatterhand den Ernst der Lage. Er war sprachlos, er konnte nicht einmal mehr ein leises „Uff“ hervorbringen. Er musste in Ruhe nachdenken und unterließ es, vorschnell „verstehe“ zu sagen.

 

Die Makkabäerinnen

 

Mir geht es auch so. Ich verstehe es nicht. Früher wurde in der Bibel „Das Buch der Makkabäer“ erwähnt, doch in der Bibelübersetzung in gerechter Sprache heißt es neuerdings das „Buch der Makkabäerinnen und Makkabäer“.

 

Makkabäerinnen? Was sind das für Leute? Ich hatte mir nie Gedanken über diese Personengruppe gemacht. Nun schon. Was ist dabei herausgekommen?

 

Ich gestehe es offen: Ich mag sie nicht. Ich würde natürlich nicht sagen, dass ich sie hasse. Das wird heute viel zu leichtfertig unterstellt. Das tue ich nicht. Ich hasse die Makkabäerinnen nicht. Doch sie sind mir unsympathisch.

 

Das war jedenfalls mein erster Reflex. Dann fiel mir auf, dass die Makkabäerinnen nichts dafür können. Sie können sich nicht mehr dagegen wehren, wie sie dargestellt werden. Mein Unmut richtete sich daraufhin auf diejenigen, die die Bibel in gerechter Sprache verfasst und die Makkabäerinnen speziell hervorgehoben haben.

 

Wie werden sie dargestellt? Als übermäßig geltungssüchtig, eitel und wichtigtuerisch, als wollten sie gegenüber den Männern ohne Angabe von Gründen hervorgehoben werden. Dieser Wunsch wird ihnen nun nach Jahrhunderten erfüllt.

 

Sie werden uns als Querulanten präsentiert – Querulantinnen, besser gesagt –, die per einstweiliger Verfügung darauf bestehen, dass sie gesondert im Abspann eines historischen Films erwähnt werden, auch wenn sie darin gar keine Rolle gespielt haben, und die Zuschauer längst das Kino verlassen haben. Denn womit – bitte schön! – haben die Makkabäerinnen die besondere Aufmerksamkeit verdient, die sie beanspruchen? Was haben sie getan? Haben sie überhaupt etwas getan?

 

Vermutlich schon – jedoch nichts Gutes! Sie haben die Gemeinschaft der Makkabäer zerstört. Sie haben aus einer guten Gruppe zwei schlechte Gruppen gemacht.

 

Bisher hatte ich mir eine einheitliche Bevölkerungsgruppe vorgestellt, die von gemeinsamen Interessen zusammengehalten war und im Notfall mit vereinten Kräften einem äußeren Feind entgegengetreten ist. Doch die Bibelübersetzung in gerechter Sprache sagt mir: Stopp! So war das nicht.

 

Wie war es denn? Es muss da irgendeinen Dissens gegeben haben, irgendeinen Widerspruch, von dem ich bisher nichts gewusst habe, und der mir auch nicht erklärt wird. Doch es muss da was gegeben haben. Warum sonst legen die Übersetzerinnen und Übersetzer der Bibel in gerechter Sprache Wert darauf, die Makkabäerinnen als schwierige, nicht integrierbare Minderheit zu präsentieren, über die man nichts Gutes zu sagen weiß, aber Schlechtes vermuten darf?

 

Warum wird so viel Aufhebens davon gemacht, dass man sie extra erwähnt, aber nicht begründet, warum man es tut? Die Übersetzerinnen und Übersetzer kommen mir vor wie Teenager, die sich darin gefallen zu sagen: „Ich habe ein kleines, süßes Geheimnis, aber ich verrate es nicht, Ätschi Bätschi.“

 

Wollen uns diese Übersetzerinnen und Übersetzer, die sich auf dem evangelischen Kirchentag feiern ließen, wirklich etwas über die Makkabäerinnen sagen – oder vielmehr etwas über sich? Wie heißt es doch: „Was ihr den Geist der Zeiten heißt/
Das ist im Grund der Herren eigner Geist/ 
In dem die Zeiten sich bespiegeln.“

Wer es noch nicht wusste: Die Makkabäerinnen waren die Vorkämpferinnen des Feminismus.

Korrektur: Es muss heißen: „Was ihr den Geist der Zeiten heißt/
Das ist im Grund der Herrinnen eigner Geist.“

 

Weiter geht es:

„Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.

Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer,

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion,

Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,

Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

 

Verstehe: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Die gerechte Sprache kennt keinen Scherz.

 

Howgh, ich habe gesprochen.

 

 

Die gendergerechte Sprache ist ein totalitäres System

Das kleine Wörtchen „alle“ lockt alle in die Falle

 

Neulich habe ich eine Meldung gelesen, über die ich nachdenken musste: Auch die CDU-Frauen wollen, wie es der ‚Spiegel’ süffisant ausgedrückt hat, „ein bisschen gendern“. Nur ein bisschen. Sie wollen „gemäßigt gendern“. So soll es nach den Wünschen der CDU-Frauen in Zukunft heißen: „Der Parteitag wählt auf Vorschlag der oder des Vorsitzenden die oder den Generalsekretär/in“.

 

Warum wollen sie nur ein bisschen gendern? Sind sie etwa auch ein bisschen schwanger? Bemühen sie sich um ein bisschen Rechtsstaatlichkeit? Um ein bisschen Frieden? Vielleicht mögen sie auch das Lied ‚Gib mir’n ein kleines bisschen Sicherheit’ von der Gruppe Silbermond. (Dabei geht es um ein billiges, leicht zu knackendes Fahrradschloss, das sich die Sängerin zum Valentinstag wünscht … aber womöglich habe ich den Text nicht richtig verstanden).

 

Ein bisschen totalitär

 

Ein „bisschen“ geht nicht. Es geht gar nicht. Bei dem so genannten „gendern“ handelt es sich nicht etwa darum, einen neuen Begriff in das Lexikon aufzunehmen, den man bei passender Gelegenheit benutzen kann und bei unpassender Gelegenheit nicht. Es handelt sich vielmehr um einen Eingriff in die Regeln der Grammatik, die bei jeder Gelegenheit angewendet werden sollen. Das haben Regeln so an sich.

 

Aber gibt es diese Regeln überhaupt? Nein. Keiner weiß genau, wie man gendern soll. Da kommen ständig neue Vorschläge hoch (Doppelnennung, Binnen-I, (m/w), _innen, /innen, *innen …). Bisher hat sich keiner der Vorschläge bewährt. Es sind aber neue in Arbeit. Wir wissen aber, warum wir gendern sollen. Warum? Um Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen. Das klingt nach einer großen, womöglich nur schwer oder gar nicht lösbaren Aufgabe.

 

Das bringt uns gleich zur nächsten Frage: Was ist eigentlich Geschlechtergerechtigkeit? Nun, das sagt uns das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die haben es in einer Erklärung zur Strategie des Gender Mainstreaming zusammengefasst. (Die CDU-Frauen kennen den Satz bestimmt. Den haben sie auf einen Zettel geschrieben und tragen ihn stets in der Handtasche bei sich, falls sie es wieder vergessen haben – also):

 

„Geschlechtergerechtigkeit bedeutet, bei allen gesellschaftlichen und politischen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern zu berücksichtigen.“

 

Aha. Entscheidend in diesem Merksatz ist das unscheinbare Wort „allen“! Immerhin: Man kann es sich leicht merken. Nun wissen wir, wann wir gendern sollen. Wann? Immer. Ganz einfach. Gender Mainstreaming gilt immer (!) und überall (!). An anderer Stelle in den Erklärungen zur Geschlechtergerechtigkeit heißt es zur Abwechslung „regelmäßig“ (!).

 

GM ist also eine Strategie – auch Querschnittsaufgabe genannt –, die sich in alle (!) Lebensbereiche einmischen will, um überall (!) eine Unterschiedlichkeit zu berücksichtigen, das heißt in Wirklichkeit: um überall (!) eine Trennung vorzunehmen, um alles (!) Gemeinsame zu zerstören und um überall (!) Geschlechterapartheid vorzuschreiben.

 

Hier muss niemand zum Finale einer aufwühlenden Rede fragen: „Wollt ihr die totale Gender-Sprache?“ Die Frage erübrigt sich. Es gibt die Gender-Sprache nur in der totalen Version. Das liegt daran, dass der Eingriff in die Sprache über das Regelwerk erfolgen soll, und dass nach Meinung der AktivistInnen oder Aktivist*innen – wie ich sie aktuell korrekt bezeichnen soll – es sowieso „keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit“ gibt (Das meinen sie tatsächlich. Sehen Sie sich die Seite des oben erwähnten Bundesministeriums an, da steht es) und dass daher alles, aber auch alles, alles, alles geschlechtersensibel betrachtet werden muss.

 

Non Stop Sex Show. Non Stop Gender Trouble

 

Überall lauert der Unterschied zwischen männlich und weiblich. Wer es noch nicht mitgekriegt hat, sollte sich spaßeshalber ein Musikvideo angucken – nämlich dieses hier –, das versucht, alle Tummelplätze aufzulisten, auf denen sich heutzutage Sexismus breit macht und dringend durch Geschlechtergerechtigkeit bekämpft werden muss: everything is sexist.

 

Also: Bei jeder nur möglichen Gelegenheit soll das Geschlecht berücksichtigt werden, als wäre die Welt eine einzige Non Stop Sex Show. Bei jeder Gelegenheit wird gedanklich in die Unterwäsche gegriffen. Mary Daly ist eine Vordenkerin des Sprachfeminismus, der man nicht nachsagen kann, dass sie sanft ist – im Gegenteil. Ihr Markenzeichen ist die Doppelaxt. Sie ist berühmt für ihre ruppige Art – und ihre Wortspiele. Sie spricht vom „dicktionary“. Klar, oder? Um es kurz zu erklären: Das Wörterbuch („dictionary“) untersteht ihrer Meinung nach voll und ganz dem männlichen Geschlechtsteil („dick“).

 

Es erinnert mich an den Witz, in dem ein Psychiater einem Patienten verschiedene Darstellungen von Dreiecken und Kreisen zeigt und nachfragt, was sich der Patient darunter vorstellt. Der arme Kerl auf der Couch erkennt überall nackte Frauen. Als der Psychiater sorgenvoll die Stirn in Falten legt, verteidigt er sich: „Warum zeigen Sie mir dauernd solchen Schweinkram? Wer von uns beiden ist denn hier versaut?“

 

So geht es uns, wenn mir geschlechtergerecht sprechen wollen. Wir sollen immer an Sex denken. An Sex, nicht an Gender. Wenn es um „Selbstabholerinnen und Selbstabholer“ geht oder um „Benutzerinnen- und Benutzerfreundlichkeit“ von Oberflächen, über die man mit dem Finger wischt – woran denken wir dann? Daran dass hier zwei Gruppen erwähnt werden, die durch soziale Einflüsse, denen sie ausgesetzt waren, unterscheidbar sind – also anhand von Gender-Kriterien – oder an zwei Gruppen, die man unterscheiden kann, weil eine mit einem weiblichen, die andere wiederum mit einem männlichen Geschlechts-Apparatus ausgestattet ist?

 

Der kleine Zettel kann in den Papiermüll

 

Das Beispiel passt: es geht nur um die Oberfläche. Nicht um Inhalte. Es werden Mengen gebildet, die nur oberflächlich betrachtet als Menge gelten können und lediglich aus toten Zahlen mit Geschlechtsteilen bestehen, nicht aus lebendigen Menschen mit Albträumen, Wünschen, Sehnsüchten, Plänen, Krankheiten …

 

Es werden eben gerade nicht die „unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen“ berücksichtigt, wie es auf dem kleinen Zettel heißt. Eben nicht! Sondern? Was wird berücksichtigt? Das Geschlecht. Anders geht es gar nicht. Es müsste sonst eine jeweils unterschiedliche, der speziellen Situation angemessene Formulierung genutzt werden.

 

Aber ein Geschlecht ist immer dabei und die Geschlechtszugehörigkeit ist nun mal unterschiedlich. Na und? Das muss nicht zu einer unterschiedlichen Interessenslage in allen Bereichen des Lebens führen. Es muss auch nicht zu einem dauerhaften Getrenntsein der Geschlechter führen. Die Geschlechter können sich auch ihrer Unterschiedlichkeit erfreuen und daraus etwas Gemeinsames entstehen lassen.

 

Doch darüber können wir nicht mehr reden, wenn wir die geschlechtergerechte Sprache benutzen, denn diese Sprache betont das Trennende. Immer. Bei jeder Gelegenheit. Auch wenn Männer und Frauen in Wirklichkeit keine unterschiedlichen, sondern gemeinsame Interessen haben.

 

Sie sind nämlich eigentlich ganz nett, sie sind gar nicht solche Sexmonster, wie ihnen unterstellt wird. Sie möchten gerne etwas selbst abholen und wollen in Ruhe die Vorteile einer benutzerfreundlichen Oberfläche genießen, ohne dabei von Fragen zur Sexualität oder zur Genderpolitik belästigt zu werden.

 

Doch es geht nicht. Was immer sie an Interessen und Lebenswirklichkeiten gemeinsam haben, wie gut sie sich auch verstehen mögen: immer steht ihnen ihre unterschiedliche Geschlechtszugehörigkeit im Weg und soll als etwas Trennendes hervorgehoben werden. So will es jedenfalls die geschlechtergerechte Sprache. Das Unterschiedliche wird damit schwuppdiwupp zum Trennenden, das nicht mehr überwunden werden kann, es wird unversehens zum Unversöhnlichen. Denn die Unterschiede sollen „regelmäßig“, sie sollen bei jeder Gelegenheit gelten.

 

Die PolitikerInnen oder Politiker*innen – wie ich sie aktuell korrekt bezeichnen soll – können den kleinen Zettel gleich wieder zerreißen. Geschlechtergerechtigkeit ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Noch einmal: Es werden nicht die unterschiedlichen Interessen und Lebensweisen berücksichtigt, sondern die unterschiedlichen Geschlechtszugehörigkeiten.

 

Die ausgestreckten Finger der Geschlechterpolitik zeigen nicht auf die Situationen, in denen sich die Menschen befinden, sondern auf deren Geschlechtsteile. Merkt das eigentlich niemand von denen, die sich Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahne geschrieben haben?

 

Vielleicht bemerken sie es nicht, weil sie von der Position des Wortes „unterschiedlich“ in dem Satz getäuscht worden sind. Schauen wir noch einmal hin. Worauf bezieht sich dieses „unterschiedlich“? Auf unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und Interessen? Oder auf die Unterschiedlichkeit der Geschlechter? Worauf wird hingewiesen?

 

Wenn wir den Satz (flüchtig) lesen, haben wir den Eindruck, dass sich dieses lästige „unterschiedlich“ auf die Interessen und Lebenswirklichkeiten bezieht. In der Tat. Die können sehr unterschiedlich sein. So unterschiedlich, dass man sie nicht bei jeder Gelegenheit mit ein und derselben Formulierung beschreiben kann.

 

Aber. Jetzt kommt es: Die Interessen und Lebenswirklichkeiten sind nicht immer unterschiedlich. Worin liegen denn – bitte schön – die unterschiedlichen Interessen und Lebenswirklichkeiten von Menschen, die etwas selbst abholen wollen? Na gut, die mag es geben. Aber wie sollte man sie erstens beschreiben und zweitens berücksichtigen? Sind sie überhaupt wichtig?

 

Sie lügen, ohne es zu merken

 

Es ist ja nicht schlimm, wenn Politiker, Poeten sowie alle anderen, die gerne viel reden, sich mit unwichtigen Dingen befassen, schlimm ist, wenn sie uns zwingen wollen zuzuhören und wenn sie nicht aufrichtig sind. Wenn sie schummeln. Wenn sie aus Schlamperei oder Hinterhältigkeit einen wichtigen Unterschied nicht beachten. Genau das machen die Verfechter einer geschlechtergerechten Sprache: Sie unterscheiden grundsätzlich nicht zwischen Situationen, in denen Frauen und Männer unterschiedliche Interessen haben und Situationen, in denen sie gemeinsame Interessen und gemeinsame Lebenswirklichkeiten haben. Sie tun so, als hätten sie immer unterschiedliche Interessen.

 

Das unscheinbare Wort „allen“ hätte sie warnen müssen. Wenn etwas in allen Fällen gilt, wird es bedeutungslos. Mehr noch: Es wird zur Lüge – nämlich in den Fällen, in denen es gar keine Unterschiede gibt.