Sechster Brief

 

Briefmarke

 

Die Mörder und der letzte Krieg

 

 

Liebe Frauen

 

Erinnern Sie sich? In den 80er Jahren kam Bewegung in die deutsche Wohlstandswelt; uns hatte eine neue Angst vor dem Krieg erwischt – vor einem Krieg mit Atomwaffen. Es würde der letzte Krieg sein, das letzte Gefecht, wie es in der Internationale heißt, auch wenn es da anders gemeint war. Es wäre das Ende der Welt. Die Überlebenden würden die Toten beneiden – so hatte es Nikita Chrustschow vorhergesehen.  

In der BRD gab es eine Friedensbewegung. Da war ich mit ganzem Herzen dabei. Vielleicht erinnern Sie sich: Es gab damals in so manchen Apotheken eine geheimnisvolle Werbung für etwas, das sich „Doppelherz“ nannte und das ich als junger Mann nicht brauchte. Ich hatte schon ein Doppelherz. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass ich mit zwei Herzen bei der Sache war:  

Deutschland, also meine Heimat lag mir am Herzen, mein Zuhause, meine Familie, die auf den Osten und den Westen verteilt war. Auch wenn ich nicht wusste, wie ich dieses Zuhause nennen sollte und auch nicht wusste, ob es eine richtige Heimat war oder nur ein Heimat-Ersatz. Ich bin halber Ossi und halber Wessi, ich habe ein Ossi-Herz und ein Wessi-Herz. Beide deutsche Länder mochte ich gerne, ich war allerdings auch jederzeit bereit, sie zu kritisieren, als wäre keins von beiden mein richtiges Heimatland. Doch die Menschen in dem geteilten Land mochte ich. Die waren nun alle bedroht von der Atombombe. Da ist mir das Doppel-Herz in die Hose gerutscht.

Im Jahre 1977 war ich als Tourist in Hiroshima. Weil man da nicht viel sehen – das heißt auch nicht viel erkennen – kann, habe ich mich den Büchern von Günther Anders anvertraut, um mit meinen unzureichenden Eindrücken nicht allein zu bleiben. Ich habe gelesen, was ich kriegen konnte und schließlich ein Taschenbuch zusammengestellt: Das Günther Anders Lesebuch (das neu unter dem Titel Die Zerstörung unserer Zukunft erschienen ist.)  

Persönlich habe ich den alten Sonderling nicht kennengelernt. Zur Verleihung des Adorno-Preises (den er immerhin angenommen hat, andere Ehrungen hat er rundweg abgelehnt …) konnte er nicht mehr persönlich anreisen und musste eine Videobotschaft schicken. Dennoch. Ich glaube, dass ich ihn bei anderer Gelegenheit gesehen habe. Auf dem Bahnhof in Frankfurt. Da schaute ein alter Mann, der genau so aussah wie er, neugierig, wach und hilflos aus dem Fenster. Seine von Gicht gezeichnete Hand hing schlapp über der halb heruntergezogen Scheibe. Es war der Zug nach Wien. Er musste es sein. Ich träume manchmal noch, dass ich in den Zug eingestiegen und nach Wien gefahren wäre. 

Günther Anders (der eigentlich anders heißt) hatte ein apokalyptisches Ende kommen sehen. Das dann aber, wie wir inzwischen wissen, nicht gekommen ist. Zum Glück nicht. Vielleicht erinnert sich noch jemand – wenn auch ungern – an die Schlagworte „Cruise Missiles“ und „Pershing II“ und an den Spruch: „Besuchen Sie Europa solange es noch steht“. Es herrschte damals eine düstere, eine drückende Stimmung. Es fühlte sich an wie kurz vor dem Untergang.  

Heute denke ich, dass nicht der Atom-Krieg, sondern der Geschlechter-Krieg das „letzte Gefecht“ sein wird. Es wird nicht mit einem großen BÄNG daherkommen, sondern schleichend. Es wird auch nicht das Ende für die Menschheit sein. Nur das Ende für einige Kulturen. Für unsere. Der Geschlechter-Krieg verhindert ein Weiterleben, wenn er Kinder verhindert. Geschlechter-Krieger schaffen sich selber ab. Der letzte lässt dann von einem zugewanderten Pfleger das Licht in seiner alten Wohnung ausmachen.  

Doch wir sind nicht allein auf der Welt: Wenn wir in unserem wunderbaren, diskriminierungsfreien Gleichstellungs-Paradies keine Familien und keine Kinder mehr haben wollen, wenn wir uns nicht fortpflanzen wollen – dann werde es eben andere tun. Diese anderen werden versuchen, ihre Familien zu erhalten und die werden ihre Kinder lieben, ohne dass sie darüber vorher ergebnisoffen diskutieren und althergebrachte Rollenmuster hinterfragen müssen. Die Kinderreichen werden die Kinderarmen und verzagten Kinderlosen überstimmen und zu einer unbedeutenden Randerscheinung machen. Vielleicht werden sie es sein, die eines Tages die einsamen Überlebenden des freudlosen Geschlechter-Krieges bedauern.  

Auf dass es nicht so weit kommt!

Herzliche Grüße  

Bernhard Lassahn

 

Oh, jetzt hätte ich beinahe die Mörder vergessen, die ich großartig in der Überschrift angekündigt hatte. Für die Mörder habe ich auch noch einen Spruch auf Lager.

Aber vorher noch schnell ein Wort zu Günther Anders: Er wurde durch den Briefwechsel mit Claude Eatherly bekannt, der zwar die Bombe über Hiroshima nicht abgeworfen hatte – er war nur der so genannte Wetterpilot gewesen, der dem Flugzeug mit der Atombombe an Bord voran geflogen war – er litt aber unter Nachwehen. In diesem Briefwechsel, in dem es um Schuld, Verantwortung und Angst geht, versucht Günther Anders in vergleichsweise einfachen Worten zu erklären, dass wir heute keine richtigen Täter mehr haben. Nur noch Opfer. Alle tun immer nur ein bisschen was. Oder sie unterlassen etwas. Der Rest geht irgendwie automatisch.

Das gilt für den Atomkrieg, bei dem nur noch Knöpfe gedruckt werden und der dann wie eine Lawine wie von selber anrollt, ohne dass man sie aufhalten kann. Es gilt ebenso für den Geschlechter-Krieg, den ich als den „letzten“ beschrieben habe. Wer tut da noch etwas? Wir sind alle schuldig, weil wir nichts tun. Wir gucken schulterzuckend zu. Was soll man auch tun?

Da sind undurchsichtige Strukturen entstanden. Da gibt es Fehlanreize. Die Leute verdienen ihr Geld mit der Zerschlagung von Familien und an dem Leid der Kinder. Man müsste das ganze System ändern. Wo soll man anfangen und zur Tat schreiten?  

Diese Frage macht den Spruch, den ich angekündigt habe, seltsam altmodisch. Ich meine diesen hier:

 

Soldaten sind Mörder 

 

Heute müsste es korrekterweise heißen:  

 

Soldatinnen und Soldaten

sind Mörderinnen und Mörder

 

Das wiederum heißt, dass uns die Sprache abhanden gekommen ist – was wir auch an einer kleinen Szene im Bundestag sehen können, die ich hier verlinkt habe. Wir sagen nicht mehr, was wir sagen wollen und haben nur noch Worte für das Trennende, aber nicht mehr für das Gemeinsame und für das, was uns zusammenhält.

Damit bin ich schon mitten in dem Thema, um das es auch im siebten und letzten Brief geht. Also, bis dann.  

 

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Soldatinnen und Soldaten

Soldaten

 

Traurige Berühmtheit erlangten die gefallenen deutschen „Soldatinnen und Soldaten“, von denen Ursula von der Leyen einst gesprochen hat. In Afghanistan sind jedoch keine weiblichen, deutschen Soldaten gefallen. Die gefallenen Soldatinnen gibt es nicht.

 

 

Hierzu eine kurze Rede von Elke Hoff, FDP, die korrekt als nächste „Rednerin“ (Singular) angekündigt wird und sich ebenfalls korrekt bei der „Präsidentin“ (Singular) bedankt. Dann begrüßt sie die „lieben Kolleginnen, liebe Kollegen“ (eine Höflichkeitsfloskel, die sich eingebürgert hat, „liebe Kollegen“ wäre genauso gut möglich und ebenfalls richtig; hier verbirgt sich unter der Höflichkeitsfloskel die Absicht, das generische Maskulinum zu meiden und stattdessen die Doppelnennung anzuwenden).

 

Frau Hoff spricht dann von einem verwundeten Soldaten, der glücklicherweise eine erste Operation überstanden hat. Zu diesem Anlass drückt sie ihre Solidarität aus für die „Soldatinnen und Soldaten“. Sie spricht dann von „Bürgerinnen und Bürgern“ und zweimal von „Kolleginnen und Kollegen“, dann überraschenderweise von „Kollegen“ (Na, bitte: geht doch), dann wieder von „Soldatinnen und Soldaten“ und dann wieder ganz selbstverständlich von „Kollegen“, dann noch mal von „Soldatinnen und Soldaten“ und von deren Familien. Dann wird es unruhig.

 

Sie spricht dann von sich selbst als „Mitglied des Bundestages“ und als „Parlamentarier“. In beiden Fällen verwendet sie eine übergeschlechtliche Singular-Formulierung. Richtig so. Sie hätte auch „Parlamentarierin“ sagen können, aber es ist schön zu hören, dass sie kein Problem damit hat, übergeschlechtliche Formen zu verwenden, weder im Singular „Parlamentarier“, noch im Plural „Kollegen“.

 

Nur „Soldaten“ bringt sie nicht über die Lippen. Bei der nächsten Gelegenheit sagt sie wieder „Soldatinnen und Soldaten“ und es werden wieder die Familien zusätzlich erwähnt. Als sie dann „Kollegen“ sagt, verbessert sie sich überflüssigerweise und spricht gleich zweimal hintereinander von „Kolleginnen und Kollegen“ und wiederholt noch einmal „Soldatinnen und Soldaten“.

 

Wundert es da jemanden, dass man so einer Politikerin ihre Emotionen nicht glaubt? Und dass viele diesen falschen Zungenschlag langsam nicht mehr hören können? Die Frau von der FDP zeigt, dass ihr das Mitgefühl für den verwundeten Soldaten nicht so wichtig ist wie die strenge Einhaltung der feministischen Sprachregelung (so falsch die auch ist und so wenig sie in der Lage ist, sie konsequent anzuwenden).

 

Warum tut sie das? Warum besteht sie zwanghaft auf den „Soldatinnen und Soldaten“? Sie zeigt doch selber, dass es auch anders geht. Vermutlich könnte man – wenn man ihr privat begegnet – ganz unbefangen mit ihr reden und müsste nicht bei jeder Gelegenheit auf die Wortwahl und auf die Pluralbildung achten. Aber ich bin nicht sicher. Sie weiß, was sie sagt. Sie ist volljährig. Sie weiß, dass sie eine vergifte Sprache benutzt, die eine destruktive Politik beschreibt. Was sagt sie damit aus? Was tut sie damit?

 

Sie hält uns mit einem Hase-und-Igel-Spiel zum Narren. Bei der Formulierung „Soldatinnen und Soldaten“ kann man die weiblichen Soldaten entweder als Teil der Gesamtmenge der Soldaten oder als extra herausgenommene Menge sehen, die außen vor steht. Beide Möglichkeiten können gemeint sein. Ein Wackelbild. Eine Kippfigur. Das weiß eine erwachsene Frau, die Deutsch gelernt hat. Warum redet sie so?

 

Weil es alle machen. Weil Frauenpolitik so ist. Zwiespältig. Mit dieser unsauberen Formulierung pfuschen die weibischen Politiker vorsätzlich, weil sie die Vorteile aus beiden Möglichkeiten haben wollen. Je nachdem. Sie halten sich womöglich für raffiniert, sind aber leicht zu durchschauen.

 

Einerseits spreizen sie sich und wollen bei jeder Gelegenheit erwähnt werden – andererseits wollen sie sich alle Türen offenhalten, wollen sich bei Bedarf zurückzuziehen und so tun, als wären sie eigentlich nie dabei gewesen und hätten sich immer noch die Unschuld erhalten.

 

Wenn sie Frauen als Teil des Ganzen sehen – Plan A –, dann fordern sie bei der Gelegenheit treuherzig „faire Teilhabe“, geregelte Gleichstellung und Quoten. Sie tun dann so, als würde ihnen das ungerechterweise verwehrt werden und als müssten sie sich diese faire Teilhabe – gegen die doch eigentlich niemand etwas haben kann – von einer höheren Instanz zuteilen lassen. Sie merken nicht, dass sie selbst dafür sorgen, dass es eine faire Teilhabe nicht geben wird. Oder sie wissen es – und täuschen bewusst. Sie sind entweder dumm oder verschlagen.

 

Sie haben nämlich noch einen zweiten Pfeil im Köcher. Damit meine ich die zweite Interpretationsmöglichkeit: Wenn sich Frauen nämlich – Plan B – als herausgenommen sehen, als separierte Frauengruppe, die unschuldig „außen vor“ steht, dann können sie sich eine pauschale Kritik und Verurteilung der Soldaten leisten – und tun es auch bei anderer Gelegenheit: Soldaten sind Mörder. Krieg ist Männersache. Gewalt auch. Frauen sind keine Mörder. Frauen sind Opfer.

 

Soldatinnen, die grundsätzlich außen vor sind, werden daher auch nicht zu gefährlichen Kampfeinsätzen herangezogen. Sie haben zwar Rechte, aber keine Pflichten. Sie haben keine Verantwortung. Die haben die Männer. Frauen kriegen die Rosinen. Männer müssen die bitteren Pillen schlucken.

 

Solange die Frauenpolitik diese zwiespältige Strategie beibehält, die mit der Zwangsformel von den „Soldatinnen und Soldaten“ zutreffend ausgedrückt wird, solange wird es auch mit der „gerechten“ Teilhabe nichts. Denn beides geht nicht. Eine wirkliche Teilhabe kann es nur geben, wenn sich Frauen nicht länger ein Hintertürchen offen lassen, durch das sie sich jederzeit aus der Verantwortung schleichen können, um dann zu sagen, dass sich immer schon „außen vor“ waren und eigentlich nicht dazugehören. Faire Teilhabe gibt es nur bei einem Verzicht auf Privilegien, bei gleicher Verantwortung ohne einen privaten Notausgang.

 

Also: Es geht mir nicht darum, die lästige Formulierung von den „Soldatinnen und Soldaten“ anzuprangern und sich darüber lustig zu machen. Es ist längst nicht mehr lustig. Die Sprache spricht für sich: So wird die Unzuverlässigkeit und Inkompatibilität der Frauenpolitik korrekt bezeichnet. Es wird damit von Anfang an deutlich gemacht, dass man mit Leuten, die so reden, keine gemeinsame Politik machen kann.