Luther und der Teufel, die Beatles und Jesus …

 

… die singende Nonne und die gerechte Sprache

 

Die Lieder beim evangelischen Kirchentag

 

„Ein neues Lied, ein besseres Lied, komm Freunde, will ich euch singen …“ Das war Heinrich Heine. Damals. Beim diesjährigen evangelischen Kirchentag hieß es: Ein neues Lied, ein gerechtes Lied, kommt Freunde, wollen wir singen!

 

Zwei Lieder in gerechter Sprache wurden gesungen – im Rahmen der Geschlechterdebatte „Für eine sanfte Revolution der Sprache“. So war es jedenfalls angekündigt. Ich war gespannt. Und enttäuscht. Es waren überhaupt keine Lieder in „gerechter Sprache“. Die wurden nur fälschlicherweise so genannt.

 

Die Kirche und das populäre Lied

 

Erinnert sich jemand an die Beatles? Klar. Ich sowieso. In dem Film ‚Eight Days A Week’ über die Zeit, als sie auf den großen Bühnen standen, wird der Skandal dokumentiert, der ausgelöst wurde, als John Lennon gesagt hatte, die Beatles seien populärer als Jesus. Da traten sogleich radikale Christen auf den Plan. Beatles-LPs wurden verbrannt. Ihre öffentlichen Auftritte wurden zum Risiko. Da war was los.

 

Erinnert sich noch jemand an die singende Nonne Sœur Sourire, „Schwester des Lächelns“? Womöglich hat noch jemand ihr Lied ‚Dominique’ im Ohr, mit dem sie einst die Hitparaden stürmte. Es hieß damals, die singende Nonne sei populärer als Elvis.

 

Die Millioneneinnahmen gingen direkt an das Kloster und Jeanine Deckers (so ihr bürgerlicher Name) ließ sich das – gutgläubig wie sie war – nicht quittieren. Das Finanzamt bestand auf Steuern, das Kloster hüllte sich in kaltes Schweigen. Sie verließ das Kloster. Hochverschuldet und tablettensüchtig versuchte sie vergeblich, an ihren Erfolg als Sängerin anzuknüpfen, unter anderem mit einem Loblied auf die Pille. Schließlich beging sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Selbstmord.

 

Warum erzähle ich das? Es sind Beispiele für eine Öffnung der Kirche. Oder eben dafür, dass sie sich nicht geöffnet hat. Es sah in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts tatsächlich so aus, als wollte sich die Kirche öffnen – öffnen für die unruhige Jugend, öffnen für neue Lieder, öffnen für aktuelle Fragen. Und so gab es den so genannten progressiven Jugendgottesdienst.

 

Die rastlose Jugend stellt Fragen und singt Lieder

 

Das sah dann so aus: Da stand ich mit schlecht gestimmter Gitarre in der Kirche – und wir sangen gemeinsam: „Wir zieh-he-hen auf der-er großen Straße unsres Lebens rastlos hin. Suchen auf der-er großen Straße nur nach Vorteil und Gewinn.“ Soweit die Strophe. Dann sollten Fragen aufgeworfen werden, die speziell auf die Jugend zugeschnitten waren:

 

„Vater im Himmel, so unbe-he-greiflich, wer sagt uns, dass es ihn wirklich gibt? Ob unser Sinnen und Trachten vergeblich (wenn ich das richtig in Erinnerung habe) oder ob er uns wirklich liebt?“ Das waren die Fragen. Wir nannten es nicht „gerechte Sprache“. Es ging auch nicht um eine „Revolution“. Wir sangen das Lied am Reformationstag. So richtig begeistert war ich nicht.

 

Was sagte John Lennon dazu? Seine blasphemische Bemerkung hatte schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, als sie anlässlich der Beatles-Tour in den USA wiederentdeckt und zum Skandal hochgejazzt wurde. Er hatte sich einst in einem Jugendmagazin über die Lieder, die bei solchen progressiven Jugendgottesdiensten gesungen wurden, geäußert. Er mochte sie nicht. Er fand sie zweitklassig und langweilig.

 

Die genauen Formulierungen kenne ich nicht; John Lennon mochte es natürlich, heftig auf die Pauke zu hauen (eigentlich war Ringo der Schlagzeuger), er war nicht gerade zimperlich. Zum Beispiel hat er behauptet, der Erfolg der Beatles beruhe darauf, dass sie die ersten wären, die in der Sprache der Arbeiterklasse singen.

 

Da ist was dran. Was er meinte, war in etwa folgendes: im Jugendgottesdienst werden Lieder gesungen, die Jugendliche hören wollen sollen. Die Beatles sind besser, sie machen es richtig. Sie singen Lieder, die Jugendliche wirklich hören wollen. Kurz zusammengefasst: die Beatles sind populärer als Jesus.

 

Der größte Schatz der evangelischen Kirche

 

Die evangelische Kirche hatte einst mit ihrer Musik einen echten Joker – einen Schatz von unermesslichem Wert. Man kann sagen, was man will: Paul Gerhardt ist ein Liedermacher ersten Ranges. Emil Cioran hat sowieso immer nur gesagt hat, was er wollte, auch wenn es alle Grenzen sprengte, er sagte: „Wenn es jemand gibt, der Bach alles verdankt, dann ist es gewiß Gott.“ Na ja. Aber man kann schon verstehen, wie es gemeint ist.

 

Und heute? Heute singen sie Lieder in gerechter Sprache. Doch das sagen sie nur so. Es stimmt nicht einmal. Es ist in Wirklichkeit die gute, alte Sprache, die wir schon kennen. Nur schlecht gemacht. Die besonderen Merkmale der gerechten Sprache (nämlich die Varianten der Innen-Form und der Doppelnennung) kommen in den Liedern in gerechter Sprache gar nicht vor.

 

Das geht auch nicht. Die geschlechtergerechte Sprache ist ein vorsätzlicher Angriff auf die Schönheit und Eleganz der Sprache. Da stottert der Motor. Der Rhythmus wird holperig. In gerechter Sprache kann man nicht singen. Nicht richtig reimen. Robert Gernhardts berühmter Zweizeiler:

 

„Jesus sprach zu den Apachen:

Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.“

 

müsste in gerechter Sprache lauten:

 

„Jesus sprach zu den Apachinnen und Apachen

Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.“

 

Das klingt nicht. Es wurde dann auch nicht wie angekündigt ein Lied in gerechter Sprache gesungen, sondern – wie aus dem Effeff – ein Lied in feministischer Fälschung. Statt:

 

„Lobe den Herren,
den mächtigen König der Ehren.“

 

heißt es nun:

 

„Lobe die Kraft,

die uns Gott für das Leben gegeben.“

 

Wo ist da die gerechte Sprache? Es ist einfach nur ein anderer Text. Ein anderer Inhalt. Einmal wird der Schöpfer gelobt. Einmal die Kraft der Geschöpfe. Woher haben sie denn die Kraft? Vielleicht von ihrem Schöpfer? Die „Kraft, die uns Gott für das Leben gegeben“ ist nur ein Teil der Schöpfung.

 

Es war nicht alles schlecht früher … doch: es war alles schlecht

 

Es ist eine schlechte Parodie auf ein beliebtes Lied. Die Aussage wird verkleinert. Klar, der Text ist alt. Sechzehnhundert irgendwann. Doch was passiert, wenn man sagt, dass der neue Text nicht etwa „neu“, sondern „gerecht“ ist? Dann sagt man, dass der alte es nicht war. Ein altmodischer Text wird nicht etwa durch einen neumodischen ersetzt. Vielmehr wird ein ungerechter Text durch einen gerechten ersetzt.

 

Prof. Dr. Martin Leutzsch, den wir für die Dauer der Diskussion mit „Martin“ anreden konnten, bekannte sich ausdrücklich dazu, dass die Verfechter der gerechten Sprache auf eine „ungerechte“ Sprache zurückblicken. Noch einmal: bis zur Einführung der gerechten Sprache, war die Sprache, wie sie allgemein im Gottesdienst verwendet wurde, ungerecht. Noch einmal: Die Sprache war ungerecht. Jahrhunderte lang war sie ungerecht. Jahrhunderte lang hat es niemand bemerkt. Was für ein Versagen!? Was für eine Abwertung der Tradition?!

 

Und das nur, um denen gerecht zu werden, die eine Allergie haben gegen den Begriff „Herren“ und nicht mehr wissen, was damit gemeint ist. (Hinweis: Es ist nicht der „Herr“ Pastor).

 

Sie sind auf die Hündin gekommen

 

Die gerechte Sprache richtet Schaden an und zerstört Vertrauen. Sie stellt allen, die ein Lied wie ‚Lobet den Herren’ früher gerne gesungen haben, im Nachhinein ein schlechtes Zeugnis aus. Die gerechte Sprache ist ein Eigentor mit Fallrückzieher, bei dem sich der Spieler schwer verletzt hat. Ich fand übrigens immer, dass ‚Lobet den Herren’ unter den ansonsten eher drögen Kirchenliedern noch relativ flott war; ursprünglich war es tatsächlich als Straßenmusik gedacht, es war ein lagerfeuertauglicher Hit, der in die Kirche Einzug hielt und da populär wurde.

 

Wenn die selbst ernannten Gerechten von heute das Lied nicht mehr mögen, weil sie verlernt haben, was mit dem „Herren“ gemeint war, dann sollen sie es halt lassen. Dann sollen sie neue Lieder machen. Die müssen auch nicht als „Lieder in gerechter Sprache“ bezeichnet werden. Besonders dann nicht, wenn es nicht zutrifft. Dann sollen sie sehen, ob jemand diese Lieder mag und freiwillig singen will.

 

Wollt ihr nicht mal was singen, was ihr wirklich singen wollt?

 

Natürlich gibt es immer wieder neue Lieder, die eine Gemeinde gerne singen würde. Die kommen hinzu und bereichern das Repertoire. Zum Beispiel Lieder von den Beatles. ‚My Sweet Lord’ … Ah, Halt, Stopp, da kommt „Hare Krishna“ vor. Das ist nicht christlich, nicht jüdisch, nicht islamisch. Das geht nicht. Auch ‚Imagine’ sollte ins Gesangbuch aufgenommen werden, aber Yoko Ono erteilte keine Zustimmung, dafür die Zeile „imagine no religion“ zu streichen. Immerhin: Man kann auch mal was Gutes über Yoko Ono sagen.

 

Sebastian Krämer hatte auf einer Großveranstaltung im Rahmen des Kirchentages ein Lied angestimmt, das einen Reim auf „Maracuja“ präsentiert. Richtig. Das Publikum hat es spontan aufgegriffen und mitgesungen: „Halleluja, Halleluja …“ Sebastian Krämer, der als derzeit beste Liedermacher angekündigt wurde, ließ sie aber nicht. Och, schade … Er brach das Stück ab und erklärte, dass weder seine Witz-Version noch das Original von Leonard Cohen christliche Lieder sind. Dann spielte er ein Lied über den Teufel.

 

Die freundlichen Teufel

 

Den Teufel will ich jetzt auch aus dem Sack lassen. Einen Teufelspack, die Gruppe Duivelspack. Die haben ein Lied drauf, das nicht etwa ein Lied in gerechter Sprache ist, sondern ein Lied über gerechte Sprache. Es fetzt. Wenn das bei Kundgebungen gespielt wird, tanzen die Leute auf der Straße. Anschließend darf geklatscht werden. Hier würde vielleicht sogar John Lennon applaudieren. Es ist Musik, die das Publikum hören will. Es sind Songs, die gefallen.

 

Duivelspack ist eine erfolgreiche Fun-Folk-Gruppe. Ich habe selber auch ein paar Lieder gemacht. Ich bin so einer. Ich kenne mich da ein wenig aus. Hier haben wir den seltenen Fall von einem Lied, das ich selber gerne geschrieben hätte. Ich finde es toll.

 

Natürlich wird da mit dem Holzhammer gereimt. So muss das auch sein. So kommt eine lockere Mischung aus Tradition (Minnesang) und Moderne (geschlechtergerechte Sprache) zustande. Der ironische Umgang mit dem Alten und Neuen, schafft einen freundlichen Ton. Sie treten nicht als miesepeterige Lehrmeister auf, sondern als Narren, die über sich selbst lachen können.

 

So geht es los:

 

„Wir beginnen … -innen … -innen …

euch zu beminnen … -innen … -innen …

um zu gewinnen … -innen … -innen:

die Schönheit die von innen kommt.

 

Hallo Leute und Leutinnen,

liebe Fans, liebe Finnen.

Wir Männer wollen minnen

und ein Weiberherz gewinnen,

aber wenn, dann

ohne zu gendern.“

 

Na, endlich. Hier hat das Wort „gendern“ einen großen Auftritt vor historischer Kulisse. Das geht in die Ohren, das bleibt in den Köpfen, das spricht die Herzen an. Ich bin begeistert. Weiter geht es:

 

„Wie soll das miteinander weitergehen,

wenn wir die Sprache so brutal verdrehn?

Das ist politisch ja vielleicht korrekt

Doch ist es das, was frau bezweckt?“

 

Refrain:

„Diese Schönheit, die von innen kommt

ist für die schöne Sprache ein Affront,

liebe Freundinnen, Feindinnen, Heldinnen, Göttinnen

wir gewinnen nie:

eure Herzen mit nem Binnen-I.“

 

So ist es. Diese Gruppe hätten sie für den Kirchentag einladen sollen. Das wäre ein guter Beitrag gewesen für die Debatte um eine geschlechter- oder gendergerechte Sprache.

 

Wenn es weiter im Text heißt „Was die Beginen schon begannen …“, könnte man bei einem Publikum beim Kirchentag womöglich ein Vorwissen voraussetzen: Beginen sind christliche Gemeinschaften, die im 12. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich und anderswo aktiv waren. Die hatten es noch richtig gut; denn:

 

„ … denen drohte

nie die Frauenquote.“

 

Weiter geht es mit dem Teufelspack, die, wie wir sehen, durchaus bereitwillig sind, sich für Neuerungen zu öffnen.

 

„Wir übernehmen ja auch gern

den kleinen Gender-Stern,

sogar als Musik-X

kennen wir nix,

wir probiern es mal,

ab jetzt geschlechtsneutral.

 

Es kommt uns aber oft so vor,

als wäre das ein Eigentor,

weil Gender-Wahn mit aller Kraft

nur neue Unterschiede schafft.“

 

Richtig. Geschlechtergerechte Sprache treibt einen Keil zwischen die Geschlechter. Sie trennt. Sie schafft schlechte Laune und eignet sich speziell – und vermutlich ausschließlich – für selbstgerechte Besserwisser, die gerne andere ins Unrecht setzen und keine Gelegenheit auslassen, selbst an entlegenen Stellen nach unbedeutenden Ungerechtigkeiten zu suchen, auch wenn da schon Gras drüber gewachsen ist.

 

John Lennon hätte vermutlich gesagt: Der Teufel ist populärer als Luther.

 

Ringo in der Regionalbahn

 

 

KleineZone

 

 

Heute können wir drüber lachen, weil wir inzwischen wissen, dass damals nichts passiert ist. Doch bei ihrem letzten Konzert 1966 in San Francisco mussten die Beatles um ihr Leben fürchten. Es gab ernst zu nehmende Hinweise auf geplante Anschläge. Zur Sicherheit ließ man eine leere Luxuslimousine mit getönten Scheiben am Konzertort vorfahren, während sich die Beatles selbst in einem unscheinbaren Auto versteckt hielten. Außerdem wurde extra ein Polizist abbestellt, der sich stets in der Nähe vom Schlagzeug aufhalten musste.

 

Ringo erinnert sich – wenn auch ungern –, er hatte sich die bange Frage gestellt, was dieser Polizist wohl täte, wenn auf ihn oder die anderen Beatles geschossen würde. Würde er aufspringen und die Kugeln wie ein Baseball-Spieler auffangen? Die verschiedenen Sicherheitsmaßnahmen verschafftem ihm nicht etwa ein gutes Gefühl, sondern ein schlechtes. Sie stärkten nicht sein Sicherheitsgefühl, sondern sein Unwohlsein. Ringo ist nicht dumm. Ihm war klar, dass sein persönlicher Schutzmann, den er nicht wollte und auch nicht bestellt hatte, keinen Schutz bieten konnte. Er machte ihm nur deutlich, wie ernst die Bedrohung genommen wurde.

 

Die Beatles hatten nach kurzer Show – ohne Zugabe – geradezu fluchtartig das Stadium im Candlestick Park verlassen. Ihnen war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Es sollte dann auch, wenn man vom Rooftop-Konzert für den Film ‚Let It Be’ absieht, ihr letzter öffentlicher Auftritt gewesen sein.

 

Man kann Ringo verstehen. Er hatte es mit einem besonderen Gefühl zu tun: Nennen wir es – so lange mir nichts Besseres einfällt – das Ringo-Feeling. Es ist das Gefühl, hilflos einer unheimlichen Gefahr ausgesetzt zu sein, vor der man einerseits eindringlich gewarnt wird, während einem andererseits deutlich gemacht wird, dass man davor nicht geschützt ist.

 

Coach

 

 

Dieses Feeling soll nun auch Frauen geboten werden, die auf der Strecke Leipzig-Chemnitz mit der Regionalbahn fahren. Aber nur in kleiner Dosis. Das Feeling ist im Fahrpreis inbegriffen. Die Mitteldeutsche Regionalbahn richtet spezielle Abteile für Frauen ein, die zu ihrer Sicherheit nicht weit vom Dienstabteil entfernt sind. Damit soll das Sicherheitsgefühl gestärkt werden. So heißt es. Doch es wird aller Voraussicht nach kein gutes Gefühl dabei entstehen, sondern ein schlechtes – wenn auch nicht so schlecht, wie einst bei Ringo. Die Frauen in der Regionalbahn werden sich nicht sicherer fühlen, sondern unsicherer. Denn so blöd sind weder Frauen noch Schlagzeuger. Sie wissen genau, dass ihnen im Notfall kein Schutz geboten wird. Doch so ein Notfall wird heraufbeschworen, er wird als durchaus wahrscheinliche Möglichkeit vorausgesetzt. Die Einrichtung dieser Abteile beweist es ja. Sonst hätte man nicht zu solchen Maßnahmen greifen müssen.

 

So werden Ängste geschürt. Das ist nicht gut; denn das Schüren von Ängsten ist etwas, das – wie es heißt – nur Rechtspopulisten tun. Und die sollten das nicht tun, sie sollten es bleiben lassen. Doch nun ist es passiert. Frauen wird Angst gemacht. Und dann werden sie mit ihren Ängsten allein gelassen. Es liegen keine Broschüren aus, in denen in mehreren Sprachen die Risiken und Nebenwirkungen beschrieben und Verhaltensmaßregeln für die richtige Nutzung der Abteile gegeben werden.

 

Was nun? Was sollen die Frauen tun, wenn plötzlich ein privilegierter, älterer, weißer Mann auftaucht, für den Alltagssexismus bekanntlich ganz normal ist? Was sollen sie tun, wenn er anfängt, einen Herrenwitz zu erzählen? Sollen sie ihn aus dem Abteil verweisen, bevor er zur Pointe vordringt? Notfalls mit Gewalt? Sollen sie die Notbremse ziehen? Und wenn ein Mann kommt, der eine andere Sprache spricht und ein ganz anderes Frauenbild hat als der allseits gefürchtete privilegierte, ältere, weiße Mann – was dann? Wenn es ein Mann ist, der offensichtlich aus einem anderen Kulturkreis kommt, der nicht alt, nicht weiß und nicht privilegiert ist. Ist die Gefahr dann größer? Oder nicht so groß? Ist so eine Frage überhaupt noch zulässig? Oder gilt sie als rassistisch? Nächste Frage: Ist es zulässig, nachzufragen, ob so eine Frage zulässig ist? Es ist heikel. Denn wir sollen nicht verallgemeinern und pauschal beschuldigen, wir wollen aber auch die Ängste der Frauen nicht banalisieren. Also, wie ist es? Wie groß ist die Gefahr? Von wem geht sie aus?

 

Coach

 

 

Bei den Beatles war die Gefährdung konkret. Sie richtet sich nicht gegen Popgruppen im allgemeinen, sondern speziell gegen John Lennon. Man wusste auch, wodurch sie ausgelöst worden war und von wem sie ausging. Der Ku Klux Klan und andere religiöse Gruppen hatten nach der Bemerkung, dass die Beatles populärer seien als Jesus, Rache-Aktionen angekündigt, LPs verbrannt und Beatles-Puppen gekreuzigt. Bei dem Konzert in Memphis wurden Knallkörper auf die Bühne geworfen. Auf ihren Hubschrauber wurden geschossen. Wie wir heute wissen, haben die Beatles überlebt. Dass John Lennon später von einem verrückten Einzeltäter erschossen wurde, konnte keiner verhindern und hatte mit dem damaligen Aufruhr nichts zu tun. Vielleicht war die Gefahr 1966 gar nicht so groß gewesen, wie alle dachten. Vielleicht waren es nur hoch gekochte Gerüchte, von denen sie verrückt gemacht wurden. Vielleicht war es sogar eine makabere Kampagne gewesen, um den Kartenverkauf anzukurbeln.

 

Feministen sehen sich nicht mehr als Opfer, sondern als Überlebende. Sie haben es bisher geschafft, die „rape-culture“, in der sie heute leben müssen, zu überleben, allerdings nicht ohne schwere Schäden zu erleiden. Wehe, es wagt jemand zu behaupten, sie würden heillos übertreiben und das ganze Gekreische und Gejaule wäre nur eine makabere Kampagne, um die Gleichstellungspolitik zu rechtfertigen und neue Straftatbestände für Männer zu schaffen. Wehe, es wagt jemand, zu behaupten, dass Schutzräume „nur für Frauen“ in unseren Breitengraden zu Friedenszeiten ebenso überflüssig sind wie Trigger-Warnungen, die sie davor schützen, ihre traumatischen Erfahrungen noch einmal durchleben zu müssen.

 

Wir kennen das. Wir haben uns längst an Frauenparkplätze und andere Hysterie-Aufladestationen gewöhnt wie etwa an Bibliotheken, die nur Frauen nutzen dürfen. Die Grünen führen sicherheitshalber „frauenöffentliche“, politische Veranstaltungen durch – Veranstaltungen also, bei denen Männer ausgesperrt werden. Es wird etwas sensibler ausgedrückt; denn natürlich sind solche Veranstaltungen „öffentlich“, da kann grundsätzlich jeder hin, aber sie sind „frauenöffentlich“, es kann also doch nicht jeder hin, nur Frauen. Sonst können sie nicht ungestört Politik für alle machen.

 

Wenn man zum Arzt geht, sollte man zwei Fragen beantworten können: Wo genau tut es weh? Seit wann sind die Beschwerden aufgetreten? So hat der Arzt eine gewisse Chance, dem Leiden auf die Spur zu kommen und ein Gegenmittel zu finden. Sonst nicht. Sonst kann er nicht helfen. In unserem Fall können die Fragen nicht beantwortet werden. Damit haben wir schon den Sinn der Sache verstanden: Es soll überhaupt nicht geholfen werden. Es wird keine Linderung angestrebt. Es soll nur gegen Männer gehetzt werden.

 

Coach

 

 

Man könnte sich ja ernsthaft Gedanken zum Thema machen. Haben wir etwa nur auf der Strecke Leipzig-Chemnitz ein Problem? Auf allen anderen Strecken nicht? Das wäre sehr unwahrscheinlich. Es ist auch nicht so. Soeben wird gemeldet, dass auf der Strecke Osnabrück-Cloppenburg eine 22jährige Frau, die in der Nordostbahn eingeschlafen war, gegen 21 Uhr von einem Fremden flüchtig geküsst wurde. Es sieht also ganz danach aus, als hätten wir auf der Leipzig-Chemnitz-Strecke genauso wenige – oder eben auch genauso viele – Problemfälle wie auf allen anderen Strecken auch. Was nun? Müssen nun überall solche Abteile eingerichtet werden? Wir wissen, wann die erste Regionalbahn gefahren ist. Das war 1835. Sie fuhr nicht von Leipzig nach Chemnitz, sondern von Nürnberg nach Fürth. Aber ab wann haben sich da die Übergriffe gegen Frauen so gehäuft, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen? Wie bitte? Die haben sich gar nicht gehäuft? Soll das heißen, dass die Maßnahmen überflüssig sind? Sollte man dann nicht erst einmal eine gut bezahlte Studie nachschieben, die beweist wie gefährlich das Leben für Frauen heute ist? Irgendwas mit Statistiken, die keiner liest.

 

Natürlich sollte man etwas gegen echte Bedrohungen tun. Aber was? Wie? Wo? Wäre es vielleicht eine Überlegung wert, auf manchen Strecken zu bestimmten Zeiten (etwa nachts in der S-Bahn in Berlin), Security mitfahren zu lassen? Das wäre zwar aufwendig, aber so könnte man eventuell helfen. Doch wenn die Bedrohung nicht lokalisierbar ist, kann man nichts machen. Wenn die Bedrohung als allumfassend dargestellt wird und gleichzeitig nur punktuell Schutz angeboten wird, ist es so, als hätte man den Leuten eingeredet, dass jederzeit überall Kometen abstürzen können und dass deshalb zur Sicherheit an zwei Orten in Deutschland Unterstellmöglichkeiten eingerichtet werden. Eine in Chemnitz. Eine in Leipzig. Dann sollen sie doch kommen, die Kometen.

 

Die Sicherheitsmaßnahmen tarnen sich als Service, doch sie sind hinterhältig und bösartig. Sie führen dazu, dass Männer pauschal als Gefahr für Frauen hingestellt werden. Alle Männer. Leider auch der Schaffner, der sein Abteil ganz in der Nähe hat. Wenn der nämlich auch ein Mann ist, wer sagt denn, dass er nicht Teil der Bedrohung ist? Ringo hatte damals eine böse Ahnung. Er fürchtete, dass sein Polizist ihn, wenn er angeschossen am Boden läge, nicht etwa retten, sondern um ein letztes Autogramm bitten würde. Auch der Polizist war Teil des Wahnsinns, der damals um die Beatles tobte.

 

Der Wahnsinn liegt in unserem Fall nicht darin, dass alle Männer im Raum Leipzig plötzlich irre geworden sind und wahllos über Frauen herfallen, der Wahnsinn liegt bei einer infamen Frauenpolitik, die alle Männer abstrafen will, als würden sie jedem Mann in einer imaginären Kartei in Flensburg zwei Punkte verpassen. Grundsätzlich. Weil er ein Mann ist. Wenn sich dieser Mann dann etwas zu Schulden kommen lässt, was nur einen Punkt bringen würde – schon ist der Führerschein weg. Männer werden durch solche Maßnahmen behandelt, als wären sie vorbestraft. Sie sind auf Bewährung und stehen unter verschärfter Beobachtung. Das ist der Sinn der Sache.

 

Coach

 

 

In so einer Stimmung kann Heiko Maas Gesetze und Verbote durchsetzen, die das Klima noch weiter vergiften. Passend dazu gibt es als schrille Begleitmusik den Hashtag #imzugpassiert. Da wird das Verhalten von Männern im Nahverkehr als skandalös hingestellt. Als Zumutung für Frauen. Das muss man sich mal vorstellen: In Deutschland werden tatsächlich Frauen in der Regionalbahn angestarrt, beobachtet und vielleicht sogar berührt. Da liegt Vergewaltigung in der Luft. Die Zustände schreien zum Himmel. Und wenn die Zustände selber nicht schreien, dann tun es die Frauen. Deutsche Denunziantinnen muss man nicht lange bitten: Achtung, fertig, Aufschrei. Schon sind die Giftspritzen zur Stelle, schon sprudeln die kleinen, anonymen Beschuldigungen nur so hervor und tun so, als könnten sie ein Gesamtbild zeichnen. Doch ein Hashtag ist nur ein Mückenschwarm, der sich einbildet, er wäre nahrhaft wie ein kleines Steak. Ein Hashtag ist ein Sturm aus Scheiße; der sich aufspielt, als hätte er Beweiskraft und irgendeinen Aussagewert. Dabei wird nur das Lied der Klamaukgruppe mit dem bezeichnenden Namen Erste Allgemeine Verunsicherung angestimmt: „Das Böse ist immer und überall!“

 

Was passiert denn nun im Zug? Ein Mann schieb vorsichtig die Tür zu dem Sonderabteil auf, in dem zwei Frauen sitzen. „Sind die Plätze noch frei ?Darf ich … ?“, fragt er höflich und rechnet im Stillen damit, dass ihn die Frauen wie in guten, alten Zeiten anschwindeln und behaupten, sie wären besetzt, auch wenn sie es gar nicht sind. Heute kommt es noch schlimmer.

 

„Können Sie nicht lesen?!“, sagt eine der Frauen und deutet auf das Zeichen „Männerfreie Zone“, mit dem das Abteil gekennzeichnet ist.

„Die anderen Abteile sind leider alle voll“, versucht es der Mann.

„Wenn eine Regel nicht konsequent befolgt wird, braucht man sie gar nicht erst einzuführen“, erklärt ihm die andere Frau. „Nun ist die Regel eingeführt.“

„In den anderen Abteilen sitzen aber, so viel ich sehe, überall Frauen und Männer friedlich nebeneinander …“

„Hier nicht!“

„Ich habe einen Behindertenausweis. Allerdings nur vierzig Prozent.“

Die Frauen schütteln energisch ihre Köpfe.

„Ich habe noch nie einer Frau …“

„Das kann alles noch kommen“, unterbricht ihn eine der Frauen und die andere ergänzt: „Selbst in Ihrem Alter, hi, hi, hi.“

„Ich will meine kranke Mutter besuchen …“, versucht er es weiter.

Doch die Frauen unterbrechen ihn sofort. Sie seien schließlich in Deutschland. Ob er nicht wüsste, wie hier Frauen in Angst und Schrecken leben müssen.

Er versucht es mit einem letzten verzweifelten Argument: „Ich habe Migrationshintergrund.“

Doch die Frauen zeigen sich entschlossen: „Männer raus!“ skandieren sie. Als er die Glastür zuschiebt und sich zurückzieht rufen sie ihm noch hinterher: „Überprüfen Sie Ihre Privilegien!“ Eine der Frauen kann auch ein bisschen englisch, schließlich leben sie in einer weltoffenen Gegend: „Scheck juhr Priwilätsches!“

 

Dabei ist es doch so einfach. Man stellt einfach ein Schild auf, dass Monster keinen Zugang haben und schon bleiben die Monster weg:

 

Monsterneu