Der Sündenfall von Venedig

 

Manchmal gibt es Kritik am Feminismus. Oft fängt sie so an, dass zuerst versichert wird, dass der Feminismus früher einmal sinnvoll und dringend notwendig war, dass er jedoch heute übertreibt und gelegentlich ein irritierende Bild abgibt mit Schlampenparaden, Busenattacken, Femen und dem Kampf gegen die Farbe Pink.

 

Ich blicke auch auf die Geschichte. Ich kritisiere aber nicht die einzelnen Personen, sondern eine besondere Art die Welt zu sehen. Dabei wird eine Erkenntnismethode angewandt, die eine negative Bilanz vorweist, so dass am Ende mehr Falsches als Richtiges herauskommt. Der Fehler liegt darin, dass Frauen und Männer so gesehen werden, als wären sie verfeindet und könnten getrennt voneinander leben.

 

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So eine Weltsicht gibt es schon lange. Sehen wir uns ein frühes Beispiel an. Es ist ein Sündenfall der besonderen Art. Den entdecken wir in dem Buch Das Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer von Modesta Fonte.

 

Der Ton kommt uns bekannt vor. Nicht nur der Titel, auch der Inhalt, wenn es etwa heißt, dass Frauen die „bessere körperliche Natur“ hätten und sich „zudem vom Verstand leiten“ ließen, im Unterschied zu Männern, die lediglich ihren „Begierden“ folgten. So komme Frauen natürlicherweise der „Vorrang“ zu. Sie seien nicht nur gut, heißt es, sie seien besser, denn: „Sie fliehen das Böse und widmen sich dem Guten.“

 

Schon gut. Wir kennen solche Töne. Hier klingen sie allerdings etwas altmodisch. Stimmt. Das Buch stammt aus dem Jahre 1600. Von wegen: Früher war alles besser. Auch im Feminismus. Eben nicht.

 

Die junge Witwe Leonora hat in Venedig einen Garten geerbt. Nun fühlt sie sich von ihrem Ehemann ganz „befreit“ und schreibt: „Eher würde ich mich ertränken, als mich nochmals einem Mann zu unterwerfen.“ Sie hat in den Garten einige wohlhabende Frauen eingeladen, um – wie man heute sagen würde – mal so richtig herzhaft über die Männer zu lästern. Eine ihrer Freundinnen ist überzeugt, dass Frauen besser daran täten, sich „jedes Jahr zum Karneval ein schönes Schwein zu kaufen“ statt einen Mann zu heiraten.

 

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Das Buch wurde jüngst in einem angesehenen Verlag neu aufgelegt. In einer Besprechung wird es als „feinsinnig“ gelobt. Es gewähre uns, so heißt es weiter, den Blick auf eine „lange Tradition weiblicher Gelehrsamkeit“. Dabei fällt sofort eine Besonderheit auf. Die Männer, um die es hauptsächlich in dem Buch geht, sind ausgeschlossen, als hätte es vor dem Garten ein Schild gegeben mit einem Strichmännchen darauf und der Zeile: „Wir müssen leider draußen bleiben“.

 

Erst dadurch blüht der Garten richtig auf. Er „ist nicht nur reizvoll, sondern er hat überdies den Vorteil, dass es hier keine Männer gibt.“ So können sich die würdigen Damen in aller Ruhe besprechen: „ohne Scheu vor Männern, die hätten stören oder hindern können“. In der Kritik zu dem Buch heißt es: Ein reines Frauengespräch, wie Modesta Fonte es hier entwarf, war zu ihrer Zeit eine „literarische Innovation“.

 

Ach, nee: Eine Innovation. Das Buch war eine Dummheit und Frechheit in einem, ein Bruch mit der Tradition. Seit Platons Dialogen waren philosophische und literarische Schriften – und so etwas wollte das Buch unbedingt sein – als Dialoge angelegt. Als pro und contra. Für und wider. Hier nicht. Männer werden einfach ausgegrenzt. Die Trennung, die dem ersten „Gebot“ des rassistischen Denkens und Sprechens entspricht, wird zur Voraussetzung des ganzen Experimentes. Nur so kamen die Frauen in Venedig zu ihren Ergebnissen. Die künstlich herbeigeführte Trennung schuf die Illusion, dass es ohne einander ginge.

 

Erst so konnte sich Modesta Fonte fragen: „Könnten wir uns die Männer denn nicht vom Hals schaffen (…) und dieser Last ein für alle mal ein Ende bereiten? Könnten wir nicht ohne sie leben?“

 

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Möglicherweise. Diese vornehmen Frauen hatten Sklaven, von denen sie sich bedienen ließen. Auch Männer hatten sie bisher als Sklaven angesehen. Das erschien der Gastgeberin sogar gerechtfertigt, denn Männer „werden zu Tyrannen, indem sie selbstherrlich die Herrschaft über uns an sich reißen, die wir vielmehr über sie haben müssten. Denn sieht man nicht deutlich, dass es ihre Aufgabe ist, für die Arbeit das Haus zu verlassen und sich abzumühen, um das Geld heranzuschaffen, als wären sie Verwalter, nur damit wir in dem Haus bleiben, unser Leben genießen und wie Hausherrinnen befehlen können. Nur deshalb sind sie von Natur aus robuster und stärker als wir, damit sie die Mühen in unseren Diensten ertragen können.“

 

Klare Worte. Es ist womöglich die Stunde Null der „weiblichen Gelehrsamkeit“, der „feministischen Wissenschaft“ und beschreibt vorausschauend die Ziele der Frauenpolitik von heute. Auch heute geht es um die Trennung von Mann und Frau, die automatisch den feindseligen Tonfall hervorbringt. Es geht auch heute um einseitige Förderung von Frauen und um die Verteufelung der Männer, deren reale Lebenssituation gar nicht erst zur Kenntnis genommen wird. Nach dem Modesta-Fonte-Modell werden immer noch exklusive Frauengruppen gebildet, die den Anspruch erheben, für das Ganze zu sprechen.

 

Modesta Fonte war – so gesehen – die erste Gleichstellungsbeauftragte. Natürlich gab es das Wort noch nicht. Die noble Frau Fonte wurde lediglich von ihren Freundinnen gewählt, so wie eine Gleichstellungsbeauftragte heute auch nur von Frauen gewählt werden darf. Der Garten von Venedig ist außerdem das Vorbild für die Weltfrauenkonferenzen. Männer müssen dabei leider draußen bleiben.

 

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Das Buch ist tatsächlich lesenswert. Nicht etwa wegen der Kochrezepte, die auch darin vorkommen, sondern wegen der speziellen Versuchsanordnung, Männer auszusperren und die Trennung als oberstes Prinzip zu setzen. In der Bibel heißt es zum Sündenfall, dass Adam und Eva sich „erkannten“ – was auch ein anderes Wort für „lieben“ ist. Die Trennung verhindert beides.

 

So erkennen sich Mann und Frau eben gerade nicht. Sie lieben sich nicht.

 

 

siehe auch die Postkarte aus Venedig